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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang
Autoren: Gitta von Cetto
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Baby vorzustellen. Heute vor einundzwanzig Jahren war sie
geboren worden, aber schon vor der Geburt hatte sie sein ganzes Leben aus der
Bahn geworfen. Dieses Baby! Es war gekommen und hatte sich nicht darum
gekümmert, was Ronald ihm alles geopfert hatte; es war prächtig gediehen und
gewachsen, war zur Schule und später in die Tanzstunde gegangen, es hatte
Autofahren und sich hübsch anzuziehen gelernt, hatte ihn all die Jahre um den
Finger gewickelt, war eben Goggi geworden, die Tochter Goggi, die ihn nun aus
ihren Diensten entließ.
    »Ich werde nämlich heiraten«,
sagte sie mit belegter Stimme sehr rasch.
    »So?«
    Ronald wanderte in seinem
langen, schwarzen Morgenrock im Zimmer auf und ab. Plötzlich fühlte er sich
beklommen, als sei die Luft im Zimmer zu dick geworden, und da war ein kleiner,
stechender Schmerz, der kam und ging und im Rhythmus des Herzschlages
wiederkam. Natürlich ließ es sich mit einem jungen Mann amüsanter leben als mit
einem alternden Papa. Alternd? Hatte er den Anschluß endgültig versäumt?
    Sie war aufgestanden, hatte den
Arm unter den seinen geschoben und begann nun, mit ihm auf und ab zu wandern.
»Das ist wie unser Deckspaziergang, weißt du noch? Auf unserer Nordlandreise.«
Er nickte, und sie schwieg eine Weile. »Du bist der beste Mann auf Erden«,
sagte sie plötzlich. »Du siehst aus wie dreißig, und manchmal benimmst du dich,
als seist du erst zwanzig, aber...«
    »Ich mag nicht, wenn du so zu
deinem Vater sprichst.«
    »Du magst es schon, sehr sogar.
Ach, könnten wir herrlich miteinander leben! Warum bist du mein Vater?
Geschieht dir ganz recht.«
    »Eben«, sagte er trocken.
    »Als ich fünfzehn war, hast du
dich fast mit meinem Klassenlehrer geschlagen, weil er behauptete, ich könne
kein richtiges Deutsch sprechen. Und weißt du noch? Unsere erste gemeinsame
Modenschau? Als du mir die süße, graue Persianerjacke gekauft hast? Du warst
immer so nett zu mir. Warum bist du eigentlich heute so eklig?«
    »Ich bin nicht eklig. Ich
möchte mich rasieren.«
    Er machte seinen Arm frei und
setzte seine Wanderung allein fort. Goggi stand gegen den Türpfosten gelehnt.
    Sie wurde unruhig. »Schau mich
nicht so an, Papa, das macht mich nervös. Soll ich weiterreden, oder weißt du
schon alles? Von mir und Nico?«
    »Du willst also die größte
Dummheit deines Lebens begehen und diesen... diesen dunkelhaarigen Maronibruder
heiraten«, sagte er nach einer kurzen Pause. Diese Pause hatte er nötig, um
nicht noch schlimmere Dinge zu sagen.
    Goggi überhörte den kurzen
Zornesausbruch und breitete die Arme dramatisch aus. »Deinen Segen, Papa,
bitte!«
    Er griff in die Taschen seines
Morgenrocks. »Hier sind fünfzig Pfennig. Kauf dir ein Eis und verschone mich
mit anderen Bitten.«
    Seine Stimme hatte einen
Knacks, sein Herz auch. Ich habe zwanzig Jahre lang vergessen, daß es Frauen
gibt, ich muß es einfach übersehen haben, dachte er erschrocken. Nun läuft mir
Goggi weg, und ich kann Zusehen, wie ich zurechtkomme. Wie wird meine Zukunft
aussehen? Ein Leben mit der Muhr. »Die Muhr ist mein Schicksal«, murmelte er.
    »Hast du was gesagt?«
    »Ich habe gesagt: geh jetzt,
liebe Tochter, Papa möchte sich anziehen.«
    Ronald Gutting, Besitzer eines
gutgehenden Dreißig-Mann-Betriebes der Kosmetikbranche, trat vor den Spiegel
seines azurblau gekachelten Bades und hielt Rückschau, während er sich zu
rasieren begann. Hatte er sich Goggi, die nicht seine leibliche Tochter war,
nicht saurer verdient als irgendein anderer Vater sein Kind? Das diskrete
Summen des elektrischen Rasierapparates, der über sein Gesicht glitt,
begleitete seine Gedanken. Erinnerungen, mit dem Zeitraffer zusammengezogen,
verloren an Dramatik. Man stand nur und staunte über dieses Stück Leben,
registrierte die Geschehnisse, maß die Höhen und versuchte, die Tiefen zu
loten. Aber man verspürte nicht mehr viel von dem, was damals das Herz so
stürmisch aufgewühlt hatte.
    Als er mit dem Rasieren fertig
war, bearbeitete er mit zwei harten Bürsten das Haar, blondes, volles Haar.
Dieses helle Blond war günstig, weil es über das Ergrauen, das nicht
aufzuhalten war, hinwegtäuschte. Ich bin eitel, sagte er sich, ein eitler,
alternder Narr, einer, der eifersüchtig auf einen jungen Mann ist. Das soll
übrigens öfter vorkommen bei Vätern. Schon mit dreiundzwanzig war ich ein
eitler Bursch, damals, als ich Chemie studierte und mir einbildete, ein unentbehrlicher
Freund und Helfer der Menschheit werden zu
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