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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang
Autoren: Gitta von Cetto
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hatte. Kindisch,
so an einem Wagen zu hängen!
    Jeannette sah ihm die Freude
an. »Du strahlst, als wäre Weihnachten«, sagte sie und neigte sich leicht zu
ihm hin. Ihr Haar streifte sein Gesicht.
    Jaime saß im Fond und blickte
taktvoll und so gespannt durch die Seitenfenster, als sähe er Madrids Straßen
zum erstenmal.
    Ronald träumte im Wachen. Es
war ein Traum, der für einen Mann in seinem Alter eigentlich nicht mehr paßte.
Er sah, wie das Volk zu beiden Seiten die Straßen säumte und ihm zujubelte.
»Unsere Hochzeitskutsche, gezogen von 255 Pferden«, sagte er stolz.
    »Wirklich 255 PS?«
    »Ja, wirklich. Aber warum sagst
du PS, Liebste? Es sind doch Schimmel.«
    »Benzinschimmel.«
    »Auf jeden Fall
Glücksschimmel.«
    Jeannette saß neben ihm und
sprach. Sie war kein Phantom, sie war aus Fleisch und Blut und reizend
anzusehen. Jetzt erst fühlte er die große Last der Einsamkeit, die er sein
halbes Leben lang mit sich herumgetragen hatte. Er war ein Mann mit Erfolg und
ein Mann mit Familie gewesen, ein Mann mit Charakter, mit Grundbesitz und mit
Hund. Aber ein Mann ohne Partnerin. Armer Mann! »Ich bringe Sie zuerst nach
Hause, Jaime, und dann fahre ich in mein Hotel.«
    »Carlton?«
    »Ja, Carlton.«
    Am Abend zwischen Suppe und
Vorspeise sagte Jeannette: »Mir ist es, als heiratete ich zum erstenmal. Ich
habe Lampenfieber. Wir werden in München keinem etwas sagen. Nicht wahr, Roni,
wir erledigen das in aller Stille?«
    »Bist du wahnsinnig? Ich freue
mich mein ganzes Leben schon auf diese Hochzeit, ich werde sie an die große
Glocke hängen und halb München auf die Beine bringen. Ich will Blumen und
Telegramme und Freunde und Trinksprüche und Klatsch und Geschenke und alles,
was dazu gehört. Und deine Tochter will ich auch dabei haben. Und Jonny
MacCrowley.«
    Unter seiner Post nach Rio
hatte sich auch eine Karte befunden, die von Sheila und Jonny gemeinsam verfaßt
war. Jonny war auf Ronalds Telegramm hin nach Spanien zurückgekehrt. »Laß mich
nur machen, ich kann mit verrückten Töchtern gut umgehen«, sagte Ronald. »Du
siehst ja, ich habe die beiden miteinander versöhnt.«
    Goggi, Nico, Nico Zwo, Jacky
und Angelika waren schon vor Ronald in München gelandet. Er hatte diese Nachricht
auf dem American Express in Madrid vorgefunden. »Wir werden uns Zeit lassen,
wir werden nicht hetzen«, sagte er an jenem Donnerstag zu Jeannette, als er auf
der Straße I Burgos zujagte.
    Jeannette sagte gar nichts. Sie
ließ die herbstliche Landschaft an sich vorbeieilen, ein leuchtendes, immer
wieder wechselndes Braun, das mit allen Farben des Regenbogens gemischt zu sein
schien. Als sie Aranda de Duero hinter sich hatten, legte sie den Finger auf
das Tachometer. »Nicht, daß ich dir Vorschriften machen möchte, Roni, aber du
bist immer kurz vor 200 km/st. Nennst du das nicht hetzen? Wie fährst du
eigentlich, wenn du hetzt?«
    »Verzeih, ich habe es gar nicht
gemerkt.« Er nahm das Gas zurück. »Du hast recht, es geht auch langsamer.«
    »Die Kathedrale von Burgos steht
jetzt über siebenhundert Jahre, sie wird bestimmt auf uns warten, auch wenn du
nicht so schnell fährst. Die Raserei bringt kein Glück.«
    Ronald nahm das Tempo noch mehr
zurück. »Nein, nein, ich will die Götter nicht versuchen.«
    Vier Tage später passierten sie
das Schild mit dem Münchner Kindl, und Ronald sagte: »Es regnet. Wir sind in
München.«
    Die Straßen von Harlaching
waren an diesem Sonntagabend wie ausgestorben.
    Er hielt. »Das ist unser Haus.«
Während er sprach, drückte er auf die Hupe, und wenige Sekunden später wurde es
drinnen lebendig. Aus allen Fenstern strahlte Licht, die Gartenlaterne flammte
auf, die Haustür öffnete sich, und gleichzeitig tat sich auch das große Tor der
Einfahrt auf. Ronald fuhr den Wagen auf den knirschenden Kies. Er half Jeannette
beim Aussteigen.
    Als erster war Jacky aus dem
Haus gestürzt und warf sich Ronald mit einem Geheul entgegen, das Vorwurf und
Glück zugleich verriet. Was, nicht allein? Er stutzte und beschnupperte
Jeannette mit Zurückhaltung. Dann überlegte er. Die habe ich schon mal
gerochen? Sekundenlang stand er steifbeinig und unbeweglich da. Dann leckte er
Jeannette, wenn auch nicht gerade überschwenglich, so doch ritterlich die Hand.
Riecht nicht übel, wird akzeptiert.
    Goggi legte ihre Arme um
Ronalds Hals. Sie war rundlicher geworden und weinte ein bißchen vor sich hin,
wie ihr Zustand und die Wiedersehensfreude es verlangten. »Ich dachte, du kämst
nie
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