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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang
Autoren: Gitta von Cetto
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auslassen«, sagte er und hielt die Hand gegen die
Muschel, in die er hineinsprach, »sie hat Ohren wie ein Luchs. Wir reden später
darüber.«
    »Es geht weniger um diesen
Orlano als um deinen Egoismus, mein Lieber. Du willst sie nur nicht hergeben.«
    »Ich will nicht, daß sie
unglücklich wird.«
    »Faule Ausrede. Du willst
nicht, daß sie mit einem anderen glücklich wird, du kommst um vor Eifersucht.
Weil du nach Margots Tod den Anschluß verpaßt hast, soll Goggi jetzt dafür
büßen, mein Alter.«
    Ronald wollte aufbrausen, aber
dann sagte er, für Uckermann und sogar für sich selbst ganz unerwartet: »Du
hast recht. Ich bin ein Versager. Ich hänge zu sehr an Goggi. Ich hätte mein
Leben längst anders einrichten müssen, aber ich habe es einfach verbummelt.«
     
     
     

2
     
    Enrico Orlano war ein
wohlhabender Mann. Aber er konnte nie vergessen, wie schwer er gerackert hatte,
ehe er es so weit gebracht hatte. Er wollte es auch nicht vergessen. Heute
zählte er in München zu den bestverdienenden Großhändlern in Südfrüchten. Im
Freundeskreis und vor allen Dingen im Kreis seiner großen und lauten Familie
sprach er oft und mit eitlem Stolz von den harten Anfängen seiner Laufbahn.
    Die Familie kannte seine
gestenreichen Erzählungen, die von Jahr zu Jahr dramatischer wurden, schon
auswendig.
    »Damals, als ich mit gepumpten
Moneten meinen ersten Waggon Aprikosen importierte und das Wetter plötzlich
umschlug! Und der ganze Zauber erfroren und angefault über den Brenner kam, und
ich mir schon eine Kugel durch den Kopf jagen wollte«, so pflegte er seine
Erinnerungen zu beginnen. Dabei warf er das mächtige Cäsarenhaupt zurück, das
man sich ungern von einer Kugel durchbohrt vorstellte.
    Heute beeilte er sich mit dem
Essen, um die Übertragung des italienischen Fußball-Länderkampfes nicht zu
versäumen. Er rollte geschickt eine Ladung Spaghetti nach der anderen zwischen
Löffel und Gabel zusammen und ließ sie hinter den vollen Lippen verschwinden.
Seine fünf Kinder, Nico, der älteste, Francesca, Carita, Roberto und Vera,
saßen um den Tisch und wurden ebenso geschickt und schnell mit ihren Spaghetti
fertig wie der Vater.
    Frau Orlano war klein und
üppig, mit einem nahezu noch faltenlosen, hübschen Gesicht. Sie hatte ihre fünf
Kinder in gleichmäßigen Abständen von einem Jahr zur Welt gebracht. Die Kinder
sahen einander sehr ähnlich. Sie hatten gerade, schmale Nasen, breite, schön
geschwungene Lippen und die dunklen Augen von Vater und Mutter. Sie besaßen ein
warmes Herz, laute Stimmen, einen ehrlichen Charakter und neigten, wenn sie
sich für etwas begeisterten, zu Übertreibungen. Niemand fand daher etwas dabei,
daß aus Papa Enricos vier Kisten Aprikosen im Laufe der Jahre ein Waggon
geworden war. Im Laufe weiterer Jahre würde aus dem ersten, angefrorenen
Frachttransport wahrscheinlich ein ganzer Güterzug werden. Gott schenke Papa
Enrico ein langes Leben!
    Jetzt hieb er mit seiner
behaarten Hand auf den Tisch, daß der Parmesankäse aus der Glasschale staubte.
»Enrico, sagte ich mir, jetzt heißt es spuren. Ich hin zu einer Brennerei bei
Brannenburg, ihnen den ganzen Zimt für einen Pappenstiel verkauft! So bekam ich
das faule Zeug ausgeladen und mußte in München wenigstens nicht noch Standgeld
und Verladegebühren zahlen. Mein erstes Geschäft war ein Minusgeschäft, aber
wenigstens war ich nicht total ruiniert.«
    »Bravo, Papa, bravo«, sagte
Roberto jedesmal, und es klang wie das Amen zu dieser Geschichte, die sicher
einmal in die Familienchronik einging.
    Nico hatte geduldig das Ende
der Erzählung abgewartet. Er trank sich mit einem kräftigen Schluck Rotwein Mut
an. »Kann ich dich nachher mal einen Augenblick sprechen, Papa?« Er wußte, daß
nach den Aprikosen die Geschichte von der Konservenfabrik fällig war, von der
Enrico behauptete, sie habe ihn übers Ohr hauen wollen. Diese Geschichte war
bedeutend länger und noch viel aufregender als die erste, sie ließ sich auch
besser ausschmücken und war jedesmal Anlaß zu einer hitzigen Debatte der sieben
Orlanos. Es ging dabei um die heikle Grenze zwischen kaufmännischer Moral und
Unmoral. Wo hörte das Geschäft auf, und wo begann die Gaunerei?
    Enrico warf seinem Ältesten
einen fragenden Blick zu. Seine Augen funkelten wie Kohlenstückchen. »Sprechen?
Sprechen wir nicht hier bei Tisch am besten?«
    »Hier redet alles
durcheinander. Ich möchte dich allein sprechen.«
    Enrico warf der Signora, die
diesen Sohn, mit dem
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