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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan
Autoren: Don Winslow
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lüsternen Kollegen zu verraten, dass das beste Geschäft nicht mit schönen Mädchen zu machen war, sondern mit schönen Jungen. Es hatte schließlich nur einen geringen Erpressungswert, einem Osteuropäer mittleren Alters Tonbanddokumente seiner sexuellen Eskapaden mit einer hinreißenden jungen Blon
dine vorzuspielen. Eheliche Untreue war für sie keine Schande, und das Abspielen ihrer akkustischen Exzesse machte ihnen nur Appetit auf mehr. Wenn man ihnen jedoch Beweise für eine homosexuelle Verbindung präsentierte, war das etwas ganz anderes.
    Das war Schmutz, der bezahlt wurde.
    Sexuelle Erpressung war jedoch ein bloßer Vorwand. In Walters Augen war sie nur der Auftakt einer Symphonie der Anwerbung, in der er selbst Dirigent, Konzertmeister und Erste Klarinette in einer Person war. Erpressung war die Entschuldigung, die eine Zielperson brauchte, um sich bereitwillig umdrehen zu lassen. Doch Walter wusste, was in Wahrheit gekauft wurde – Stil.
    Sein Stil.
    Walter hatte einen Teil seines Stils von seinem Vater geerbt, einem Börsenmakler, einem der wenigen, die sich nicht mit riskanten Geschäften bis zur Halskrause verschuldet hatten. So wurde er nur verletzt und nicht tödlich verwundet, als der Schwarze Freitag kam. Walters Vater hatte ihm beigebracht, wie man sich anzieht – eine gute, teure Grundausstattung mit ein paar Farbtupfern –, wann und wie man in einer größeren Runde die Rechnung übernimmt und wie man sehr hart an einem bestimmten Deal arbeitet, ohne es sich anmerken zu lassen.
    Manches von Walters Stil war eine Gabe, die er in seiner Zeit an der Privatschule von Loomis und in den Nächten als Erstsemester in Yale wie durch Osmose erworben hatte. Viele dieser Nächte hatte er in der Stadt verbracht, wo er etwas über Mixgetränke lernte und wann man Champagner pur reichen musste. Nebenbei hatte er auch etwas über den Umgang mit den komplizierten Frauen erfahren, die im Ruban Bleu und dem Spivey's Roof gefühlvolle Schnulzen sangen.
    Und den Rest seines Stils hatte Walter systematisch anhand der seidigen, Schwarz-Weiß-Bilder erworben, die in der dunklen Stille der Kinos flackerten. Walter brachte zu diesen kinematographischen Unterrichtsstunden eine ruhige Selbsterkenntnis mit, das Wissen, dass er niemals Bogart, Cagney oder Wayne werden würde. Walter wusste, dass er eher ein Typ wie Leslie Howard, Fred Astaire oder Charles Boyer war. Er war Cary Grant – ohne den Akzent oder das Aussehen, obwohl Walter Withers ein gutaussehender Junge war mit seiner Stupsnase, den rosigen Wangen und dem glatt zurückgekämmten sandfarbenen Haar.
    Nein, Walter Withers war kein harter Bursche. Walter Withers tötete mit Charme. Über seine romantischen Eroberungen bewahrte er Stillschweigen wie ein Trappistenmönch, prahlte beim Poker nie mit Triumphen und sprang nur dann über das Tennisnetz, wenn er ein Match verloren hatte.
    Jeder in Yale liebte Walter – obwohl er es abgelehnt hatte, Skull and Bones beizutreten, weil er es für sich als etwas zu klischeehaft empfand –, und nach einer ereignislosen Dienstzeit bei der Navy während des Krieges hatte er sein Examen in Geschichte gemacht. Kurze Zeit darauf lud ihn ein Professor zum Lunch ein und sagte, er kenne eine Firma, die einen Mann wie Walter gebrauchen könne.
    So kam Walter zur CIA und wurde der »Große Skandinavische Lude« und »Tödliche Anwerber«, der seinen Stil für Gott und Vaterland einsetzte. Nur wenige seiner Zielpersonen brachten es über sich, seinem Stil ein glattes Nein entgegenzusetzen. Walter schien nämlich in jeder seiner eleganten Bewegungen und in all seinem Handeln zu sagen – obwohl er es natürlich nie wirklich sagte –, dass sein Stil der westliche Stil sei und sein Lebensstil der der großen kapitalistischen Demokratien. Den Zielpersonen aus den grauen Staaten der Be
tonköpfe sagte er etwas wie: »Wenn Sie wollen, kann das alles Ihnen gehören.« Angefangen beim Schnitt seines Jacketts bis zu den Bügelfalten seiner Hosen, von der Art, wie er seine Dunhill-Zigaretten aus der Tasche zog, bis zu der Art, wie er zwei Zigaretten mit einem Streichholz anzündete, von der Art, wie seine Augen stumm den Kellner an den Tisch brachten, bis zu der Art, wie er die Rechnung diskret in der Hand verschwinden ließ – alles geschah mühelos, mit Understatement, alles irgendwie spielerisch und unaufdringlich. Walter Withers machte es den Menschen leicht, sich in seiner Gegenwart wohl zu fühlen.
    Die Zielpersonen konnten
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