Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan
Autoren: Don Winslow
Vom Netzwerk:
aus dem Mantel und legte es neben dem Alten auf den Sitz. Irgendwann in der nahen Zukunft würde irgendein Beamter es Joe Keneally vorspielen, ihn darüber aufklären, dass er eine Affäre mit einer sowjetischen Agentin gehabt habe, und ihm erklären, dass die Firma Loyalität stets mit Loyalität vergelte. Das wird für Joe Keneally ein
schlechter Tag sein, doch andererseits, dachte Walter, hätte es noch weit schlimmer kommen können.
    Er zeigte auf das Tonband und sagte: »Jetzt sind Sie an der Reihe.«
    »Sie haben gute Arbeit geleistet«, wiederholte der Alte. »Ihr Vater wäre …«
    »Erschüttert gewesen«, sagte Walter. »Wie lange wussten Sie schon über Anne Blanchard Bescheid?«
    »Seit Hamburg, junger Withers«, erwiderte der Alte. »Es gab ein Signal, ein kurzes Zeichen von einem Ihrer Agenten, bevor alle Signale verstummten, über eine Operation gegen einen bestimmten US -Senator. Ein Fliegenfänger, junger Withers, und wer wäre besser geeignet gewesen, ihn unschädlich zu machen, ja sogar umzudrehen, als der Große Skandinavische Lude und Tödliche Anwerber persönlich?«
    »Der selbst an einem Fliegenfänger klebte.«
    »Ein Grund mehr«, sagte der Alte lachend.
    »Und Sie haben mich mit Keneally zusammenrasseln lassen, nicht wahr?«, fragte Walter. »Sie wussten Bescheid.«
    »Ich wusste Bescheid«, bestätigte der Alte. »Ich wusste, dass Sie gute Arbeit leisten würden, selbst wenn Sie nicht wussten, dass Sie darauf angesetzt waren.«
    »Warum haben Sie sie nicht einfach in Stockholm geschnappt?«
    »Dort wäre es zu riskant gewesen«, erwiderte der Alte. »Sie wären vielleicht geflüchtet. Und dann hätte ich Keneally nicht. Und ich wollte Keneally, damit Hoover ihn nicht als erster erwischt.«
    »Also darum ging es die ganze Zeit.«
    »Darum geht es noch immer.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie in Pension gehen wollen, junger Freund?«, fragte der Alte. »Europa kommt für Sie nicht mehr
in Frage, aber in Indochina könnten wir einen guten Mann gebrauchen.«
    »Ich bin sicher.«
    »Der Krieg ist noch nicht vorbei«, fügte der Alte hinzu.
    »Für mich ist er es aber«, entgegnete Walter.
    »Wenn das so ist«, sagte der Alte und schüttelte traurig den Kopf, »ist es erledigt. Ein Deal ist ein Deal.«
    Er griff neben sich und reichte Walter die dicke Akte der Firma über Anne Blanchard.
    »Ist das alles? Keine Kopien irgendwo?«, fragte Walter.
    »Nicht bei uns. Die Vergangenheit Ihrer Geliebten ist makellos, soweit es die Firma betrifft.« Die Augen des Alten weiteten sich in gespielter verletzter Unschuld, doch dann fügte er hinzu: »Natürlich kann ich nicht für das FBI sprechen …«
    »Nein.«
    Der Alte schnaufte: »Wenn Sie zu uns zurückkämen, könnten wir natürlich etwas arrangieren.«
    »Ich werde mit dem FBI allein fertig«, entgegnete Walter.
    »Ach, tatsächlich, junger Freund?«
    »O ja«, erwiderte Walter. Er sah Dieters Geschenk vor sich – grobkörnige Fotos des berühmten bulldoggenhaften Direktors in einem umwerfenden schwarzen Kleid, mit Strümpfen und einer geschmackvollen Perlenkette. Dann noch Fotos von ihm im selben Outfit, wenn auch etwas, sollte man sagen, déshabillé ? Verschmierter roter Lippenstift … Nun ja, jedenfalls Fotos, die so brisant waren, dass sie Walter und Anne für lange, lange Zeit vor dem FBI schützten.
    »Ja, ich glaube, dass Sie es schaffen werden«, sagte der Alte, als er Walters Gesicht musterte. Dann wurde sein Ton schärfer. »Wieso lächeln Sie, junger Freund?«
    »Ach nichts, Sir.«
    Der Alte beugte sich zu Walter. Sein Atem roch uralt und muffig.
    »Sie sind ein cleverer junger Mann«, zischte er. »Sie sollten aber aufpassen, dass Sie nicht zu clever werden.«
    »Darauf werde ich achtgeben, Sir«, sagte Walter, als er die Tür aufmachte und auf den Bürgersteig trat.
     
    Kurze Zeit später stand Walter auf dem Treppenabsatz des Rainbow Room und blickte hinunter auf das Podium, wo Anne Blanchard stand und sang. Das silbrige Licht verwandelte ihr blondes Haar in leuchtendes Platin und ihre weißen Schultern in weiches warmes Gold. Ihr Gesicht sah er nur in seiner Vorstellung vor sich, doch er wusste genau, welchen Ausdruck es trug, als sie sang:
    » I'll take Manhattan
    The Bronx and Staten Island, too .«
    Als er die Treppenstufen hinunterging, sah er die beiden Beschatter der Firma, die 16 C auf Anne angesetzt hatte. Sie sahen ihn auch und baten ihre Kellnerin mit einem Handzeichen um die Rechnung.
    Jetzt war ihr Auftrag erledigt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher