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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan
Autoren: Don Winslow
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Deutschland-Tournee machte. Sie versuchte immer eine Wohnung zu mieten, wenn sie ein längeres Engagement in einer Stadt hatte, weil sie ein Klavier brauchte und Hotels hasste. Das war in der verschworenen Gemeinschaft amerikanischer Jazzmusiker nicht allzu schwer, denn sie arbeiteten meist in Europa, da es in den Staaten nicht genug Jobs gab.
    Anne hatte ihm erklärt, dass die meisten der amerikanischen Heimatflüchtlinge Schwarze seien – wie das Trio, das sie begleitete. Sie zögen Europa wegen des Rassismus oder vielmehr wegen des Fehlens von Rassismus vor. Paris sei ihre europäische Basis geworden, und Stockholm belege knapp dahinter den zweiten Platz, weil die Schweden ganz verrückt nach Jazz seien.
    Walter blätterte in The Highway By Night und fragte: »Wie ist das Buch?«
    »Fabelhaft«, sagte sie begeistert. »Er erfindet die Prosa in einer Weise neu, wie es seit Ulysses niemand mehr geschafft hat.«
    Walter wünschte, Joyce hätte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, die Prosa neu zu erfinden. James Jones war ihm ohnehin lieber, doch er verkniff sich, das zu sagen. Anne hielt ihn auch so schon für bürgerlich genug.
    »Hast du alles gepackt?«, wollte sie wissen.
    »Alles gepackt und fertig. Was ist mit dir?«
    Sie goss das heiße Wasser in eine Teekanne, wirbelte sie herum und sagte: »Fast alles gepackt, aber nicht ganz abreisebereit. Ich bin nie ganz bereit, Europa zu verlassen.«
    Sie hatten sich vor zwei Jahren in Stockholm kennengelernt – bei einer von Morrisons berühmten Partys zum amerikanischen Unabhängigkeitstag – und ihre Affäre quer durch Europa weitergeführt. In den Anfangsjahren ihrer Karriere hatte Anne in Paris gelebt und in kleinen Clubs gesungen; sie war nur nach New York zurückgekehrt, um ihre erste Platte aufzunehmen, die ihr ein wenig Berühmtheit eingebracht hatte.
    Kurz danach hatte sie Walter kennengelernt. Er begleitete sie von Morrisons Party zu dem Club, in dem sie sang, blieb vier Auftritte lang und verliebte sich in sie. Danach war er gereist, um sie so oft zu sehen, wie es das »Geschäft« erlaubte, blieb mal eine Nacht in Hamburg oder ein Wochenende in Kopenhagen. Er erinnerte sich auch an den wundervollen August an der Côte d'Azur, als er Urlaub hatte und sie in den Hotels sang. Es fiel ihm jedoch nicht allzu leicht, sehr oft nach Paris zu kommen, so dass sie beide glücklich waren, als sich für drei Monate das Stockholmer Engagement ergab.
    Doch jetzt musste sie wieder nach New York zurück, um ihre zweite Platte aufzunehmen und in den großen Clubs zu singen.
    Sie goss zwei Tassen dampfenden Tees ein, stellte sie auf den Couchtisch und setzte sich neben ihn auf das Sofa.
    »Willst du mich heiraten?«, fragte er zum vielleicht hundertsten Mal.
    Sie schüttelte den Kopf
    »Wir werden zur Abwechslung gleichzeitig in derselben Stadt leben«, brachte er in Erinnerung. »Eine solche Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder.«
    »Du weißt, dass ich wieder auf Tour muss, wenn die Platte erschienen ist. Wahrscheinlich kriege ich wieder hier in Europa ein Engagement. Was würde mein lieber Ehemann dann tun?«
    »Ich würde auf dich warten.«
    »Das ist zu viel verlangt.«
    »Du hast gar nichts verlangt. Ich habe es angeboten.«
    »Das kann ich nicht annehmen.«
    Er sprach leichthin, in dem Tonfall, den er bei ernsten Anlässen immer benutzte, als wollte er mit ihr besprechen, ob sie vor oder nach dem Theater essen gehen sollten.
    »Würde dir zur Abwechslung nicht mal ein richtiges Zuhause Spaß machen?«, fragte er.
    »Ich habe ein richtiges Zuhause«, entgegnete sie.
    Sie besaß eine Wohnung in der Nähe des Washington Square, die sie an einen jungen Dichter aus Wyoming vermietet hatte.
    »Ich bin zwar nie da«, fügte sie hinzu, »doch es ist trotzdem mein Zuhause, und, ja, es würde mir Spaß machen, zur Abwechslung mal wieder zu Hause zu sein.«
    »Dann heirate mich und gib es auf«, sagte er. »Ich kann uns beide anständig ernähren.«
    »›Ich werde dich aus all dem hier rausholen?‹«, äffte sie ihn nach.
    »Etwas in der Richtung«, sagte er.
    »Und das Singen soll ich auch aufgeben?«
    »Als Beruf.«
    »Ich liebe dich«, erwiderte Anne. »Das tue ich wirklich, sogar sehr, das weißt du.«
    Walter nickte. »Aber?«
    »Aber das Singen ist nun mal mein Beruf.«
    »Ich weiß.«
    Sie nippte an ihrem Tee, stellte die Tasse hin und sagte: »Außerdem würdest du mich nicht lieben, wenn ich nicht singen würde.«
    »Wie kannst du so etwas Schreckliches
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