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Manche Maedchen raechen sich

Manche Maedchen raechen sich

Titel: Manche Maedchen raechen sich
Autoren: Shirley Marr
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lagen und Hippo Flipp spielten. Von der Decke baumelte ein geflügeltes Plastikschwein, drehte sich in der Sommerhitze unermüdlich im Kreis und summte dabei wie eine Schmeißfliege.
    Oh Gott, wieso muss ich ausgerechnet jetzt daran denken?
    Ich wollte aufstehen, um nach meinem Vater zu suchen, weil ich ihn irgendetwas fragen wollte oder irgendwas von ihm brauchte, ich weiß es nicht mehr.
    „Er ist nicht da“, sagte der sechsjährige Neil. Trotzdem lief ich aus dem Zimmer und sah, dass im Schlafzimmer von Neils Eltern Licht brannte.
    „Da“, sagte ich lächelnd zu Neil und zeigte auf die Tür.
    „Nein, da ist er nicht“, antwortete er und schob mich sanft in die andere Richtung.
    Warum kehren meine Gedanken bloß immer wieder hierher zurück?
    „Wirst du dir denn verzeihen?“, flüsterte ich. Ich konnte kaum noch sprechen.
    Neil schwieg. Dann gab er mir einen Kuss und schlang die Arme um mich.
    Ich fragte mich noch, ob ich seinen Kuss erwidern sollte. Und was es bedeuten würde. Als ob das irgendwas geändert hätte. Doch der Moment verflog und nichts geschah. Was hat es also für einen Sinn, jetzt noch darüber nachzudenken?
    „Gib mir das lieber.“
    Neil nahm mir das Messer ab. Dann schnitt er sich eine Locke ab und legte sie in meine Hand.
    „Bitte schön. Die wolltest du doch haben.“
    Später sagte Marianne: „Ich hoffe, der Regen spült alles fort. Ich fände, das wäre ein saugutes Ende.“
    Aber es regnete nicht.
    In dieser Nacht lag ich im Bett meiner Mutter. Marianne und Lexi hatten sich neben mir zusammengerollt. Ich dachte an Aardants Leiche. Wir hatten sie einfach liegen lassen und waren gegangen.
    Ich dachte an Aardant und dann an das tote Mädchen im Graben, ich dachte an Lexi und an ihren warmen Körper, der neben mir ruhig atmete. Oh Gott, ich bin so froh. Ich berührte ihren Kopf und küsste sie auf das zerzauste Haar. Sie roch nach John-Paul Gaultier und nach Blut. Lexi murmelte im Schlaf und drehte sich zur Seite.
    Es dauerte eine Weile, bis ich alles verstand. Bis mir klar wurde, dass Neil jemanden umgebracht hatte. Die ganze Zeit waren meine Gedanken nur darum gekreist, wie er uns gerettet hatte. Wie erleichtert ich gewesen war, dass er mir die Entscheidung abgenommen hatte, eine, die ich selbst nicht hatte fällen können.
    Irgendwann zog ich die Postkarte aus meinem Blazer. Die mit dem Museum vorne drauf. Ich faltete sie und steckte die Locke, an der Aardants Blut klebte, hinein. Und dann versteckte ich sie dort, wo niemand sie jemals finden würde. Sie war kein Beweisstück. Niemand würde je erfahren, dass es sie gab. Sie gehörte mir, mir ganz allein.
    Den Rest der Nacht lag ich wach. Ich dachte daran, wie Neil in der Politikstunde genau in jenem Moment zu mir gesehen hatte, als ich ihn in Gedanken darum gebeten hatte. Ich dachte daran, wie Neil und ich schon zusammengehörten, als wir wie kleine Raumfahrer in den Bäuchen unserer Mütter umherschwebten und verzweifelt nach irgendeinem Halt suchten.
    Ich stellte mir vor, ich wäre eine Radarantenne, eine blühende Blume aus Metall, die Neils Frequenz jederzeit empfangen konnte. Ich war mir sicher, wenn er irgendein Signal sendete, dann würde ich es empfangen.
    Wo bist du gerade, Neil?
    Nichts. Ich spürte nichts. Vielleich t … vielleicht waren wir ja doch nur Freunde.
    Jetzt, da ich weiß, wie die Geschichte endet, weiß ich auch, dass Neil unsere Verbindung bewusst unterbrochen hat, damit ich nicht sehen konnte, was er tat. Ich hatte seine Botschaft bereits erhalten, ich hatte es nur nicht gemerkt.
    Er hatte gesagt: Alles wird gut . Dass er es regeln werde . Er fragte: Wirst du mir vertrauen?
    Als er sagte, dass es vorbei sei und dass er die Monster gestoppt habe, dachte ich, er würde von Aardant reden. Doch am nächsten Tag erfuhren wir von Neils Selbstmord und ich verstand, dass er auch sich selbst gemeint hatte. Vertrau mir, ich weiß, wovon ich rede, hatte er gesagt.
    „Das war’s“, sage ich zu Dr . Fadden. „Bringen Sie mich zurück in meine Zelle. Ich will schlafen. Ich bin erschöpft.“
    In dieser Nacht schlafe ich tief und fest. Vielleicht tut es gut, jemandem seine Geheimnisse anzuvertrauen. Aber es ist nicht nur mein Geheimnis. Es ist auch Lexis, Mariannes und Neils Geheimnis. Ich konnte es nicht eher erzählen. Ich glaube, weil ich erst zeigen wollte, dass wir Menschen sind. Und dass Menschen manchmal schreckliche Fehler machen.
    Ich glaube, ich kann Dr . Fadden nie wieder ins Gesicht schauen. Ich habe
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