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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
Autoren: Annette Pehnt
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erwachsen, eine Kleine, Süßigkeiten liegen vor ihr auf dem Tisch, Weingummi und Zuckerbrombeeren mit Geleefüllung, die ich als Kind sehr gemocht und auch gegessen habe, ich wollte sie, kaufte sie und aß sie, so einfach war das. Dieses Kind steckt sich die Zuckerbrombeeren in den Mund, eine nach der anderen, zu schnell, wenn man mich fragt, man schmeckt ja nichts, wenn man so schlingt, und ich sage zu dem Kind, langsam langsam, und erwarte, dass es verschreckt hochschaut wie die meisten Kinder, die ja auch nicht grüßen können oder nicht wollen, weil sie die Zähne nicht auseinanderkriegen, nur für die Zuckerbrombeeren geht der Mund immer auf, wie bei einem kleinen Reptil klappt das Maul auf und zu. Das Kind schaut hoch, aber verschreckt sieht es nicht aus, es nickt gleich und lächelt mir zu, als sei es solche Ermahnungen gewohnt, und den Fahrschein muss es gar nicht suchen, er liegt schon bereit neben der Brombeerpackung. Bitte schön, sagt es und streckt ihn mir entgegen. Es ist höflich und furchtlos, und ich möchte wissen, wieso ein so braves Mädchen allein im Zug verreist, und ich möchte auch wissen, ob es wirklich so wohlerzogen ist oder ob es mich blendet.
    Kinder in deinem Alter sollen nicht allein verreisen, sage ich streng, es ist eine Probe, damit ich sehen kann, was das Kind mir zu erwidern hat, ob es frech wird oder ob sich vielleicht seine Augen mit Tränen füllen, das kann schnell gehen bei Kindern, sie strahlen dich an, und mit einem Mal reißt das Strahlen ab, und ihre Lippen zittern, und auch die Tränen können bei Kindern ganz plötzlich aus den Augen spritzen, ich habe das studiert, sie fangen einfach an zu flennen, als sei das nichts. Dieses Kind weint nicht, sondern überlegt kurz und nickt dann.
    Ich verstehe nicht, was es mit dem Nicken meint, ob es findet, dass ich recht habe, oder ob es mich besänftigen will, und ich hake nach. Wo sind denn deine Eltern. Ich komme von der Mama und fahre zum Papa, sagt es, und auf einmal steigen mir Tränen in die Augen, obwohl das Kind nicht darunter zu leiden scheint, ganz vergnügt schaut es mich an, überhaupt schaut es mich ständig an und liest in meinen Augen, was ich hören möchte und als Nächstes sagen werde, und als nun meine Augen feucht werden, muss ich mich rasch abwenden und aus dem gegenüberliegenden Fenster sehen, und bei der Gelegenheit sehe ich im Fenster, dass mein Halstuch etwas verrutscht ist. Ich richte es, den Knoten in die Mitte, den Zipfel auf die Knopfleiste der Bluse, und während ich noch an mir herumzupfe, sagt das Kind, willst du eine, und streckt mir die Tüte mit den Zuckerbrombeeren entgegen. Ich wende mich wieder ihm zu, es hat den Blick nicht von mir gelassen, es will mir eine Freude machen, ich hab schon ganz viele gegessen, sagt es, die sind übrig. Da steigt, so plötzlich wie eben noch die Tränen, in mir eine Wut auf das Kind hoch, auf einmal scheint es mir unerträglich, wie es um mich wirbt, wie es sich um meine Gunst bemüht, wie es unendlich aufmerksam auf mich achtgibt, was ich sage, wie ich schaue, sicher hat es die Feuchtigkeit in meinen Augen bemerkt, es hat mir dabei zugeschaut, wie ich mein Tüchlein hin und her geschoben habe, als sei da etwas zu retten. Es hat ordentlich geschnittene Haare und Kleider, wie man sie früher getragen hat, einen altmodischen dunkelblau gerippten Pullover mit weißem Kragen, seine Backen sind rot, vielleicht ist es noch jünger, als ich dachte. Es muss beim Friseur gewesen sein, oder die Mutter hat die Haare frisch geschnitten für den Vater, der die Mutter nicht mehr liebt, die Ponyfransen liegen akkurat über den Augenbrauen, es ist zum Verrücktwerden, nichts stimmt nicht an diesem Kind, und höflich ist es auch.
    Bist du gut in der Schule, frage ich barsch und schiebe die Tüte mit den Brombeeren, die es mir immer noch entgegenstreckt, zur Seite, als ekele ich mich davor, so heftig, dass ich sie dem Mädchen fast aus der Hand schlage. Ja, antwortet es sofort und strahlt mich an, ja, natürlich ist es gut in der Schule, es schämt sich nicht, es einzugestehen, jemand, der so höflich und aufmerksam ist, muss gut in der Schule sein, und zwar in allen Fächern, in allen Fächern, oder, frage ich ungeduldig. Was heißt Fächer, sagt das Kind. Na Deutsch, Mathe und was ihr da so macht, sage ich. Das Kind wartet kurz, ob ich weiter ausholen werde, es wiegt
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