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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
Autoren: Annette Pehnt
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schon auf mich, ich habe keine Zeit, meinen Mund auszuspülen oder einen Blick in den Spiegel zu werfen, hören Sie, ruft er mir mit einer durchdringenden, aber wohltönenden Stimme entgegen, als hätte er sich schon eingesungen, und als er mich herangerufen hat, obwohl ich ja sowieso gekommen wäre, ruft er, immer noch in der gleichen Lautstärke, obwohl ich nun direkt neben ihm stehe, hier ist ja kein bisschen Platz. Ich schaue ihn fragend an, immerhin hat er einen schönen Fensterplatz, und neben ihm ist auch noch frei, und ich ahne schon, worauf er hinaus will, aber es hat keinen Sinn, es vorwegzunehmen, er will es selbst herausschleudern, dafür bin ich da, und dann wird es ihm besser gehen. Wohin mit dem Gepäck, ruft er und deutet dramatisch auf den Gang und die Sitze, wie stellen Sie sich das vor. Ich habe mir diesen Zug nicht ausgedacht, könnte ich sagen, aber stattdessen frage ich, kann ich Ihnen mit Ihrem Gepäck vielleicht behilflich sein, und hoffe, dass er ein Detektiv ist, der mir dafür eine Menge Punkte im Kundenkontakt erteilen wird. Er lacht höhnisch. Sie haben ja keine Ahnung. Wo ist denn Ihr Gepäck, frage ich, aber er ist noch nicht fertig, keine Ahnung haben Sie, was sich hier abspielt, man kann sich ja nicht mehr rühren, eingepfercht, ja, wie Vieh eingepfercht, daran hat keiner gedacht, es denkt ja niemand mit in diesem Land, und dann wundern sich alle, wenn es bergab geht. Er redet laut auf meinen gesenkten Kopf ein, ich brauche nichts mehr zu sagen, ich sehe, dass er nur einen handlichen, metallisch glänzenden Rollkoffer hat, der bequem neben ihm unter dem Sitz verstaut ist, es ist ein schöner, teurer Koffer mit lederverstärkten Ecken. Als er verstummt, schaue ich kurz hoch, ob ich entlassen bin, aber er hat sich vorgebeugt und starrt auf mein Namensschild, S. Santrac, ich notiere mir das, da können Sie sicher sein, und er fängt an, in seiner Mappe nach einem Stift zu wühlen, während ich mich rasch abwende, das muss genügen, ich muss etwas trinken, meine Zähne, und was macht wohl das Mädchen im anderen Abteil, und ich bin in Wagen 7 nicht durchgekommen.

    Wir befinden uns in der Anfahrt auf Offenburg, in wenigen Minuten erreichen wir Offenburg. Haben Sie schon gefrühstückt? Beginnen Sie den Tag mit einem Frühstück in unserem Bordbistro, zum Beispiel Frühstück Boulevard, eine Schale Milchkaffee und ein frisches Croissant, in der ersten Klasse bedienen wir Sie auch gerne direkt an Ihrem Platz. Das Schöne am Frühstück im Speisewagen ist doch, dass man essen und zugleich die Landschaft genießen kann. Die Landschaft besteht aus Flächen in Grün, Braun und Stein, die sich in hoher Geschwindigkeit hinter dem Fenster abspulen, Stein ist anthrazit, eine kühle Farbe, die auch im Innendesign für eine edle Wohnatmosphäre sorgt. Bei uns ist alles blau, taubenblau und graublau, die Sitzbezüge getupft, die Böden gestreift, es beißt sich aber nicht, weil das Blau eine befriedende Wirkung hat, zumindest auf manche.
    Wagen 7 ist das Handyabteil, die Lautstärke erheblich, guten Morgen, guten Tag, Fahrkarten bitte, kann ich bitte auch die Bahncard sehen, hier gehören alle dazu, aber nicht zu mir, sie sind in Gespräche verstrickt, in Verhandlungen, mitten im Satz verlöscht die Verbindung, und sie fluchen und wählen schon wieder neu, eine Symphonie aus Klingeltönen, aus Begrüßungen, lauten Lachern, wichtigen Gesichtern, es ist nicht üblich, sich noch darüber zu wundern, so reden wir heute, so reden alle, und ich wundere mich ja auch nicht, ich bewundere die Virtuosität der Telefonierenden, wie sie mit einer Wange das Handy an die Schulter pressen, mit der Rechten auf ihrem Laptop herumfingern und mit der Linken die Fahrkarte schwenken, ich bin schnell durch, so schnell, dass ich mich in Wagen 8 auf den Doppelsitz gleich hinter der Gepäckablage schiebe, wo man mich nicht gleich sieht, und kurz die Augen schließe.
    Der Bettüberwurf in meiner Wohnung ist anthrazit, ich habe ihn aus Dänemark mitgebracht, wo es gutes Design zu erschwinglichen Preisen gibt, und habe ihn über mein Bett geworfen, um meinem Schlafzimmer Eleganz und Urbanität zu verleihen, ich sehne mich nach meinem Bett, eingeknickt, wie ich hier kauere, der Rücken in die vorgegebene leichte Krümmung gepresst, der Kopf zu weit nach vorne, man kann hier nicht herumhängen, selbst
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