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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
Autoren: Annette Pehnt
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blaues Hemd kaum ab, es machte sein Gesicht blass. Er hatte eine laute, etwas raue Stimme und fragte uns, was wir uns erwarteten von seinem Kurs, und alle antworteten höflich, neue Impulse, mehr Dynamik, einen eigenen Rhythmus. Ich musste annehmen, dass alle außer mir schon solche Kurse besucht hatten, sonst hätten sie sicher nicht solche Dinge sagen können. Ich weiß nicht, murmelte ich, als ich an der Reihe war, und das gefiel ihm besonders, ja, rief er, dann bist du ganz offen für alles, und es klang wie eine Gratulation, auch war ich damit in sein Augenmerk gerückt, und er hatte es auf mich abgesehen, den ganzen Tag über auf mich. Wir machten Übungen, um unseren Atem zu spüren, mussten uns die Hände auf den Bauch legen und die Augen schließen, und als er sah, dass sich meine Augen ständig und ohne mein Dazutun öffneten, kam er zu mir und legte mir die Hand über die Augen. Es geschah so schnell, dass ich nicht zurückweichen konnte, schon spürte ich seine warme Hand im Gesicht und schaute in seine Handfläche. Ich hielt mich gerade und rührte mich nicht, und nach einer Weile, als ich gerade anfing, mich an diese fremde Hand und die geschenkte Dämmerung zu gewöhnen, flüsterte er, du sitzt da wie ein Betonpfeiler, und schon riss ich die Augen wieder auf und wand mich unter seinem Griff weg, verteidigte mich, wieso denn, ich bin ganz entspannt. So ging es weiter, er hatte mich im Visier, er griff mich heraus, um einen Tanzschritt vorzuführen, er gab mir die größte Trommel, du musst deine Sprache finden, raunte er, aber ich habe doch gar nichts zu sagen. Stell dir vor, die Trommel ist ein Mann, den du umarmst. Ich starrte auf das klobige, hautbespannte Fass und schob es etwas von mir weg. Wenn ich sie umarme, kommt doch kein Ton raus, sagte ich patzig, man muss doch draufhauen, oder.
    Ich verstehe nichts von Liebe, auch wenn ich sie von morgens bis abends vor Augen habe. Zwar fahren die meisten Kunden allein, aber sie tragen einen Geliebten mit sich herum, eine Angebetete, einen Mann, eine Frau, ein Kind, sie steigen in den Zug ein und haben doch gerade noch gevögelt, haben sich an jemanden geklammert, haben mit jemandem in der Ecke gestanden und ihm unters Hemd gefasst, haben Brüste geknetet, Hände zwischen Beine geschoben, vielleicht haben sie ein Kind gehalten, ich kann ja nicht in die Köpfe hineinschauen, aber ich sehe, wenn sie von der Liebe kommen, sie haben es noch in den Mänteln, in den Handys, auf denen sie fahrig herumtippen, um die Finger wieder von der Haut zu entwöhnen, sie sind noch außer Atem, sie reichen mir die Fahrscheine, ohne mich zu sehen, lieber hielten sie die Augen noch geschlossen, um der Liebe hinterherzuschauen.
    Es gibt auch die, die nicht aufhören können. Zu zweit drängen sie sich ins Behinderten- WC , triumphierend schließen sie ab, der Geruch, der feuchte Boden, der chemische Dunst, das alles stört sie nicht, im Gegenteil, es macht ihre Liebe noch strahlender oder noch dreckiger, wie es eben jedem gerade gefällt, Schlangen vor dem WC , Leute klopfen, ich klopfe, aber das ist ihnen egal, im Gegenteil. Oder sie klappen die Armlehne hoch und drängen sich auf den Sitzen aneinander, was nicht leicht ist, weil die vorgeformte Schale der Rückenlehne keine Übergriffe vorgesehen hat, jeder soll schön für sich sitzen und sich aufrecht halten, aber das kümmert sie nicht, sie drängen sich aneinander, als gäbe es kein Morgen mehr, und dann kommt das eigentliche Schauspiel: Sie breiten einen Mantel über beide Schöße, die Hände verschwinden darunter, sie schließen die Augen, knabbern aneinander herum und denken allen Ernstes, niemand wüsste, was sie unter dem Mantel treiben, während ihre Gesichter immer heißer werden. Hier habe ich nichts zu melden, ich kann nach den Fahrkarten fragen oder auch nicht, sie lassen sich nicht stören, sie rangeln unter dem Mantel, die anderen Fahrgäste schauen verstohlen, ob es was zu sehen gibt, und auch ich halte mich länger in der Nähe auf, als nötig wäre.
    Am Vierertisch sitzt ein kleines Mädchen, eines von diesen dünnen langhaarigen Geschöpfen mit Ohrstöpseln und MP3 -Playern, ich finde sie zu jung dafür, aber mich fragt ja keiner, und ich kann das Alter von Kindern nicht gut schätzen, sie sehen sich alle ähnlich, und auf einmal sind sie erwachsen. Diese ist nicht
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