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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
Autoren: Annette Pehnt
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sie ja auch nicht, ich brauche sie nur, wenn jemand nicht dazugehört und auch nicht bereit ist, eine Mitgliedschaft zu erwerben, und sei es nur die einfachste Sorte, eine Kurzfahrt, eine Pendlerfahrt, ein oder zwei Stationen, eben nicht der Rede wert, nichts, was in meinen Augen wirklich gälte, aber ich drücke beide Augen zu, wenn Sie dabeisein wollen.
    Aber dieser hier will nirgends sein und schon gar nicht bei uns, er will schlafen, seine lähmende Schläfrigkeit sackt mir entgegen, es ist ihm egal, wo er ist, er könnte auf irgendeinem Boden in irgendeiner Bude herumliegen und würde sich dort genauso einrollen, er könnte sogar unter einer Brücke oder bei einer Frau liegen, er könnte bei mir liegen, es wäre ihm egal, er braucht keine Karte, er gehört nicht dazu.
    Ich stelle mich dicht neben ihn, guten Morgen, in Freiburg noch zugestiegen, Fahrkarten bitte, er bewegt sich überhaupt nicht, er könnte sogar tot sein, und, heftiger als geplant, stoße ich gegen seinen Fuß, der etwas über den Sitz hinausragt, weil eine Bewegung des Zuges mich ihm entgegen presst. Er zieht den Fuß zurück, aber ich gebe nicht nach, ich drücke mit den Knien gegen seinen Fuß, bis er mit einer raschen Bewegung das Tuch von den Augen reißt und mich anstarrt.
    Mein Name heute ist Salomé Santrac, sage ich deutlich, und ich bin Ihre Zugbegleiterin. Kann ich bitte Ihre Fahrkarte sehen.
    So heißt doch keiner, murmelt er und starrt mich immer noch an. Ich fasse an den weißen Kragen, der makellos über meinem Jäckchen liegt und meinen Hals einrahmt, eine Kette trage ich nicht, obwohl weiße Perlen gut zu dem Kragen passen würden, aber wir dürfen uns nicht schmücken. Ich bin auch ungeschmückt sehr ansehnlich, trotz der angeknabberten Haare, die mir immer schon dürr und struppig auf dem Kopf gesessen haben, ich brauche keinen Schmuck.
    Ich begleite Sie, sage ich zu dem Fahrgast und lehne mich ansehnlich an die Rückenlehne vor ihm, und ich sehe, wie er mich einschätzt, er sieht meine Aufgabe nicht, er sieht nur die Haare und vielleicht auch die Falten an den Augen und die Haare an den Beinen, die schon wieder nachwachsen, obwohl ich sie immer rasiere und blickdichte Strumpfhosen trage, tragen muss, das gehört zur Ausrüstung, so wie die Fenster unserer Züge blickdicht sind, niemand kann von außen hineinschauen, wenn die Zurückbleibenden am Bahnsteig den Abreisenden zuwinken wollen, treten sie ganz nah an die Fenster, umrahmen manchmal sogar ihr Gesicht mit den Händen und pressen es ans Glas, wild und blind lächelnd, Abschiede, die an Heftigkeit gewinnen, weil sie ins Leere gehen, und so ist das auch mit den Strumpfhosen.
    Nur kann es sein, dass dieser Fahrgast durch die Strumpfhosen hindurch sieht, es gibt solche Blicke. Neulich erst hat jemand zwischen Ulm und München durch meine Jacke und die Bluse hindurch entdeckt, dass meine linke Brust halb aus dem BH -Korb gequollen war, ich hatte es natürlich auch gemerkt und unauffällig versucht, sie durch die beiden Stoffschichten hindurch wieder zurückzuschieben, aber es gab zu viel anderes zu tun, bis ich den Fahrgast erreicht hatte, der mit einem Blick die überbordende Brust entdeckt hatte und die Lippen amüsiert spitzte, ein genießerischer Glanz trat in seine Augen, er rieb sich auch die Hände und setzte sich ein wenig auf, als wollte er sich eine Serviette umbinden und sich auf eine schmackhafte Mahlzeit vorbereiten. Es blieb mir nichts übrig, als ihn zu strafen. Ich verlangte seine Fahrkarte, seine Bahncard, seine Kreditkarte und seinen Personalausweis, und während er alles hervorkramte, hörte er auf, die Lippen zu spitzen, und ich fuhr schnell mit dem Finger unter die Jacke und die Bluse und drückte die Brust zurück in den Korb, es war mir egal, ob er mir dabei zuschaute oder nicht, er hatte mich ja eh schon ertappt.
    Aber heute habe ich einen besseren Namen, es ist ein wirklich klangvoller, ein verträumter Name, der mir einiges ersparen wird, und ich wende den Blick ab von dem schläfrigen, trotzigen Fahrgast, der noch einmal murmelt, so kann man doch nicht heißen, aber er kann mir den Namen natürlich nicht ausreden, er ist neidisch, das wird es sein. Er hängt immer noch auf den Sitzen, als wollte er sich für die Nacht einrichten, die doch gerade vorübergegangen ist, zum Glück, mit dem Wecker zur Frühschicht, wieder
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