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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
Autoren: Annette Pehnt
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vorübergegangen, immer melde ich mich so früh wie möglich. Die Arme hat er vor der Brust verschränkt, es sieht nicht aus, als wollte er eine Fahrkarte suchen, er mustert mich störrisch und etwas angewidert und verbreitet süßlichen Schlafgeruch. Ich bleibe stehen, ich darf nur nicht weggehen, bis er aufgibt. Ich kann gut stehen, ich kenne die Bewegungen des Zuges, ich bin ihnen nicht ausgeliefert, nur auf dem Festland bewege ich mich ungeschickt, mit leichtem Hohlkreuz, mein Nacken so verspannt, dass ich die Schultern hochziehen muss, weil sie nicht herunterhängen können, die Hände in den Taschen geballt um den Hausschlüssel oder den Hotelschlüssel oder Wohnungsschlüssel, damit ich ihn nicht verliere, denn irgendwo muss ich schlafen.
    Zu Hause muss ich schlafen, ich tue dort nichts anderes, immer wenn ich zu Hause bin, ist es Zeit zu schlafen, deswegen komme ich zu Hause eben auch zu gar nichts anderem, sondern lege mich gleich ins Bett und nehme rasch vorher ein leichtes Schlafmittel, etwas Pflanzliches, damit ich schlafen kann. Es bleibt ja nicht viel Zeit für den Schlaf, ich muss früh aufstehen, zur Frühschicht früh raus. Es ist gleich, ob ich zu Hause schlafe oder im Intercity Hotel, ich habe meine Wohnung ähnlich eingerichtet, um mich nicht immer umstellen zu müssen: ein Bettlämpchen, ein Fernseher, ein frisch bezogenes Doppelbett, ein heller Teppich, die Regale leer und aufgeräumt.
    Die Notwendigkeit zu schlafen verbindet mich mit dem schläfrigen, wütenden Fahrgast, gleich können Sie weiterschlafen, sage ich besänftigend, ich brauche nur schnell Ihre Fahrkarte, und er wirft mir noch einen scharfen Blick zu, bevor er sich halb zur Seite rollt, was auf den schmalen Sitzen nicht einfach ist, aus seiner hinteren Gesäßtasche die Karte zieht, mit einem höhnischen Schulterzucken, und ich sehe schon an der Farbe, dass es wieder die schwarze Bahncard 100 ist, wie lackiert glänzt sie in seiner Hand, und dieser Triumph trifft mich in die Kehle. Er gehört dazu, er kann schlafen, solange er will, er kann sich nach Hamburg oder Berlin hinschlafen, und mir schuldet er nichts. Ich kann nichts sagen, ich kann auch die Karte nicht anschauen, ich müsste das Datum überprüfen, vielleicht gilt sie nicht mehr, vielleicht betrügt er mich, aber ich stehe nur da und starre auf seine Wollstrümpfe, die sich mir über den Sitz entgegenrecken, und die Schuhe, die auf dem grau gestreiften Boden achtlos übereinanderliegen, und ducke mich unter seinem Blick weg zum nächsten Fahrgast.

    Mein Chef ist im vorderen Zugteil, er erwartet viel von mir, und ich gebe es ihm, jeden Tag von Neuem. Er begrüßt die Fahrgäste, auch im Namen seines Teams. Sein Englisch ist, anders als das der meisten, makellos. Er kann ein saftiges th und ein schönes amerikanisches r , und er sagt Thank you for travelling with Deutsche Bahn in einem beschwingten und ermutigenden Rhythmus, ich habe das Gefühl, er dankt auch mir, und es hilft mir, ihn dabei nicht zu sehen. Ich kann ihn mir vorstellen, ich habe ihn ja vorhin gesehen, bei der Abfahrt, ich habe gar nicht so genau hingeschaut. Er sah nicht aus wie einer, der das Englische makellos beherrscht. Ich beherrsche es auch nicht makellos, obwohl ich daran arbeite, ich suche mir aus dem Fortbildungsprogramm oft Sprachkurse aus, einmal auch einen »Body Percussion Kurs«, eine Entscheidung, für die ich büßen musste, und ich plane einen Sprachurlaub in Südengland, weil man dort das schönste, sauberste Englisch spricht und ich ein schönes Englisch sprechen möchte, denn es ist nützlich, eine Sprache zu beherrschen.
    Den Percussion Kurs leitete ein wilder, struppiger Kerl in einem kupferblauen Hemd, das mit dem gemäßigten Blau unserer Jäckchen und dem gebügelten Hellblau unserer Blusen nichts zu tun hatte, es war ein unerbittliches Knallblau, ins Explosive gesteigert durch seine leuchtend gelbe Hose. Wir starrten ihn an wie einen von diesen bunten Vögeln, die man im Fernsehen sieht, in Reiseberichten über Australien oder die Tropen, die glaubwürdig klingen, aber hierzulande kann solche Farben eigentlich keiner glauben, und so standen wir da, fünfundzwanzig Bedienstete der Bahn in Freizeitkleidung, die nicht viel anders aussah als unsere Dienstbekleidung, weil wir einfach keine Zeit haben, uns ständig umzustellen, und wir nahmen diesem Kerl sein
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