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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence
Autoren: Georges Simenon
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Geht es ihm besser?«
    »Es geht ihm besser. Die Ärzte werden morgen mehr sagen können.«
    »Lassen Sie mich ihn sehen. Und wenn auch nur von weitem! Er gehörte doch so sehr zum Schiff!«
    Sie sagte nicht zur Familie , sondern zum Schiff , und das war vielleicht noch ergreifender.
    Ihr Mann verkroch sich hinter ihr und fühlte sich unbehaglich in seinem Anzug aus blauem Kammgarn und dem falschen Kragen aus Zelluloid um den mageren Hals.
    »Ich muß Sie bitten, kein Geräusch zu machen …«
    Sie betrachteten ihn beide vom Gang aus, von wo man nur ein undeutliches Etwas unter dem Laken erkennen konnte, ein wenig Elfenbein dort, wo das Gesicht sein mußte, und ein paar weiße Haare.
    Zehnmal war die Schiffersfrau nahe daran, sich nach vorn zu stürzen.
    »Sagen Sie … Wenn wir etwas dazuzahlen, würde er dann besser behandelt?«
    Sie wagte nicht, ihre Handtasche zu öffnen, hantierte aber nervös daran herum.
    »Ich meine, es gibt doch Krankenhäuser, in denen man, wenn man zahlt … Die anderen Patienten werden doch wenigstens nichts Ansteckendes haben?«
    »Bleiben Sie in Vitry?«
    »Ja, natürlich, wir fahren doch nicht ohne ihn los! Dann muß die Ladung eben warten. Um wieviel Uhr können wir morgen früh wiederkommen?«
    »Um zehn!« mischte sich der Arzt ein, der ungeduldig zugehört hatte.
    »Gibt es etwas, das wir ihm mitbringen könnten? Eine Flasche Champagner? Spanische Weintrauben?«
    »Er bekommt hier alles, was er braucht.«
    Und der Arzt schob sie zur Pförtnerloge. Als sie dort ankamen, zog die gute Frau mit einer verstohlenen Bewegung einen Zehnfrancschein aus ihrer Tasche und drückte ihn dem Pförtner in die Hand, der sie verdutzt ansah.
     
    Maigret ging um Mitternacht zu Bett, nachdem er nach Dizy telegrafiert hatte, man solle ihm eventuell eintreffende Mitteilungen nachsenden.
    Zuletzt hatte er noch erfahren, daß die ›Southern Cross‹ die meisten Lastkähne überholt hatte und jetzt in Vitry-le-François am Ende der Reihe wartender Schiffe lag.
    Der Kommissar hatte ein Zimmer im Hôtel de la Marne genommen, in der Stadt, ziemlich weit vom Kanal entfernt, und er fand hier nichts von der Atmosphäre wieder, in der er die letzten Tage verbracht hatte.
    Die Gäste, die Karten spielten, waren Handlungsreisende.
    Einer von ihnen, der nach den anderen gekommen war, verkündete:
    »An der Schleuse soll jemand ertrunken sein.«
    »Spielst du den vierten Mann? Lamperrière verliert wieder mal, was das Zeug hält … Ist der Mann tot?«
    »Weiß ich nicht.«
    Das war alles. Die Wirtin war an der Kasse eingenickt. Der Kellner streute Sägespäne auf den Fußboden und schüttete Kohlen für die Nacht nach.
    Es gab ein Badezimmer im Hotel, ein einziges, mit einer Badewanne, deren Emaille stellenweise abgesprungen war. Maigret ließ sich aber nicht davon abhalten, sie am nächsten Morgen um acht Uhr zu benutzen, nachdem er den Kellner losgeschickt hatte, ihm ein neues Hemd und einen falschen Kragen zu kaufen.
    Aber je mehr die Zeit verstrich, desto ungeduldiger wurde er. Er hatte es eilig, den Kanal wiederzusehen. Als er eine Sirene hörte, fragte er:
    »Ist das für die Schleuse?«
    »Für die Zugbrücke. Es gibt drei davon in der Stadt.«
    Der Himmel war grau. Es war windig. Er fand den Weg zum Krankenhaus nicht wieder und mußte mehrmals nach dem Weg fragen, denn alle Straßen führten ihn unweigerlich zum Marktplatz zurück.
    Der Pförtner erkannte ihn, lief ihm entgegen und rief:
    »Das hätte man nie im Leben gedacht, was?«
    »Was denn? Lebt er? Ist er tot?«
    »Wie? Sie wissen noch nichts davon? Der Direktor hat doch eben bei Ihnen im Hotel angerufen …«
    »Erzählen Sie schon, schnell!«
    »Nun – weg ist er! Ausgerissen! Der Arzt schwört, es sei unmöglich, weil er in dem Zustand, in dem er war, keine hundert Meter hätte laufen können. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er nicht mehr da ist.«
    Der Kommissar hörte Stimmen im Garten, hinter dem Gebäude, und stürzte in diese Richtung.
    Er traf dort einen alten Mann an, dem er noch nicht begegnet war. Es war der Direktor des Krankenhauses. Er redete streng mit dem Arzt, den Maigret am Vorabend gesehen hatte, und einer Krankenschwester mit roten Haaren.
    »Aber ich schwöre Ihnen!« wiederholte der Arzt. »Sie wissen genausogut wie ich, daß es … Wenn ich sage, zehn Rippen waren gebrochen, dann ist das eher untertrieben. Vom Ertrinken und von der Gehirnerschütterung ganz zu schweigen!«
    »Wie ist er denn herausgekommen?«
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