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Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Titel: Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
Autoren: Georges Simenon
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haben immer zusammengelebt, obwohl er die fünfzig schon überschritten hat. Ich habe nicht die leiseste Ahnung vom Zweck Ihres Besuches und möchte, ehe ich ihn wecke, gern wissen …«
    Sie ließ den Satz unvollendet und schenkte ihnen ein wohlwollendes Lächeln.
    »Ihr Sohn ist verheiratet, wie ich glaube?«
    »Er ist zweimal verheiratet gewesen.«
    »Ist seine zweite Frau hier?«
    Ein leichter Anflug von Traurigkeit trat in ihre Augen, und Boissier fing an, wechselweise die Beine übereinanderzuschlagen; es war nicht die Art Umgebung, in der er sich wohl fühlte.
    »Sie ist nicht mehr da, Herr Kommissar.«
    Mit leisen Schritten ging sie und schloss die Tür, trat wieder zu den Besuchern und setzte sich in die Ecke eines Sofas, kerzengerade, wie eine Klosterschülerin.
    »Ich hoffe doch, sie hat keine Dummheiten gemacht?«, fragte sie mit leiser Stimme.
    Als Maigret daraufhin schwieg, seufzte sie, als ob sie sich ins Unabänderliche füge, und fuhr dann fort:
    »Wenn es sich um sie handelt, habe ich recht gehabt, Sie zu fragen, bevor ich meinen Sohn wecke. Sie sind doch ihretwegen hergekommen, nicht wahr?«
    Gab Maigret ein kleines Zeichen der Zustimmung? Er wurde sich dessen nicht bewusst. Er war viel zu fasziniert von der Atmosphäre dieses Hauses und noch mehr von dieser Frau, hinter deren sanftem Wesen er eine erstaunliche Energie witterte. Es gab bei ihr keinen Misston, weder in ihrer Kleidung noch in ihrem Gebaren oder in ihrer Stimme. Man hätte eher erwartet, ihr in irgendeinem Schloss zu begegnen oder eher noch in einem jener großen, geräumigen Häuser in der Provinz, die wie Museen einer vergangenen Epoche sind.
    »Als mein Sohn vor fünfzehn Jahren Witwer wurde, hat er lange Zeit nicht daran gedacht, sich wieder zu verheiraten.«
    »Er hat es aber doch vor zwei Jahren getan, wenn ich mich nicht irre?«
    Sie zeigte keinerlei Überraschung über die Tatsache, dass er informiert war.
    »Das stimmt. Genau vor zweieinhalb Jahren. Er hat eine Patientin geheiratet, eine Dame, die ebenfalls in reiferem Alter war. Sie war damals siebenundvierzig. Sie stammte aus Holland und lebte allein in Paris. Ich bin nicht unsterblich, Herr Kommissar. So, wie Sie mich sehen, bin ich immerhin schon sechsundsiebzig.«
    »Das sieht man Ihnen nicht an.«
    »Ich weiß. Meine Mutter ist zweiundneunzig geworden, und meine Großmutter ist mit achtundachtzig bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
    »Und Ihr Vater?«
    »Er ist jung gestorben.«
    Sie sagte das, als sei das ohne Bedeutung, oder mehr noch, als sei es das Schicksal der Männer, jung zu sterben.
    »Ich habe Guillaume fast gedrängt, noch einmal zu heiraten, weil ich mir sagte, dass er auf diese Weise nicht allein dastehen würde.«
    »Ist die Ehe unglücklich gewesen?«
    »Das kann man nicht sagen. Jedenfalls anfangs nicht. Ich glaube, alles Leid ist daraus entstanden, dass sie Ausländerin war. Es gibt eben Nichtigkeiten, an die man sich nicht gewöhnen kann. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das erklären soll. Sehen Sie: allein schon die Probleme mit dem Kochen, die Vorliebe für dieses oder jenes Gericht! Vielleicht hat sie auch bei der Heirat mit meinem Sohn geglaubt, er sei wohlhabender, als er tatsächlich ist.«
    »Hatte sie denn kein Vermögen?«
    »Ein gutes Auskommen. Sie war zwar nicht gerade bettelarm, aber bei den steigenden Lebenshaltungskosten …«
    »Wann ist sie gestorben?«
    Die alte Dame riss die Augen weit auf.
    »Gestorben?«
    »Entschuldigen Sie, ich glaubte, sie sei tot. Sie selbst sprechen von ihr in der Vergangenheitsform.«
    Sie lächelte.
    »Das stimmt. Aber nicht aus dem Grund, den Sie annehmen. Sie ist nicht gestorben; nur für uns ist es so, als sei sie tot. Sie hat uns verlassen.«
    »Nach einem Streit?«
    »Guillaume ist kein Mensch, der sich streitet.«
    »Haben Sie mit ihr Streit gehabt?«
    »Ich bin zu alt, um mich noch zu streiten, Herr Kommissar. Ich habe dergleichen zu oft erlebt. Ich kenne das Leben zu gut und lasse jedem –«
    »Wann hat sie das Haus verlassen?«
    »Vor zwei Tagen.«
    »Hat sie Ihnen ihr Weggehen angekündigt?«
    »Mein Sohn und ich wussten, dass es schließlich so kommen würde.«
    »Hat sie Ihnen gegenüber davon gesprochen?«
    »Oft.«
    »Hat sie den Grund dafür gesagt?«
    Sie antwortete nicht sofort und schien nachzudenken.
    »Wollen Sie, dass ich offen ausspreche, was ich denke? Wenn ich zögere, ist das nur, weil ich fürchte, dass Sie mich auslachen. Ich spreche über diese Dinge nicht gern mit Männern,
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