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Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Titel: Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
Autoren: Georges Simenon
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aber ich nehme an, ein Kriminalkommissar ist zugleich ein wenig Arzt oder Beichtvater.«
    »Sie sind katholisch, Madame Serre?«
    »Ja. Meine Schwiegertochter war Protestantin. Aber das spielt keine Rolle. Wissen Sie: Sie war in einem für Frauen schwierigen Alter. Wir haben alle mehr oder weniger eine Zeitspanne von mehreren Jahren, in denen wir nicht wir selber sind. Jede Kleinigkeit bringt uns auf, und wir kommen leicht auf die merkwürdigsten Gedanken.«
    »Ich verstehe. War das bei ihr der Fall?«
    »Das und wohl auch noch einiges andere. Zuletzt träumte sie nur noch von ihrer holländischen Heimat und füllte die Tage damit aus, ihren Freundinnen zu schreiben, die sie dort noch besaß.«
    »Ist Ihr Sohn mit ihr einmal nach Holland gereist?«
    »Nein, nie.«
    »Sie ist also am Dienstag abgereist?«
    »Sie hat um neun Uhr vierzig einen Zug an der Gare du Nord genommen.«
    »Den Nachtexpress?«
    »Ja. Den Tag über hatte sie ihre Koffer gepackt.«
    »Hat Ihr Sohn sie zum Bahnhof gebracht?«
    »Nein.«
    »Hat sie sich ein Taxi bestellt?«
    »Sie ist eins an der Ecke Boulevard Richard-Wallace holen gegangen.«
    »Seither hat sie kein Lebenszeichen gegeben?«
    »Nein. Ich glaube nicht, dass sie das Bedürfnis hat, uns zu schreiben.«
    »Über eine Scheidung ist nicht gesprochen worden?«
    »Ich habe Ihnen schon gesagt, dass wir katholisch sind. Mein Sohn hat außerdem keine Lust, sich wieder zu verheiraten. Ich verstehe immer noch nicht, was sich ereignet haben könnte, dass uns die Polizei ins Haus kommt.«
    »Ich wüsste gern, Madame, was genau am Dienstagabend in diesem Haus passiert ist. Einen Augenblick! Sie haben kein Dienstmädchen, nicht wahr?«
    »Nein, Herr Kommissar. Eugénie, unsere Haushaltshilfe, kommt jeden Morgen um neun und bleibt bis fünf.«
    »Ist sie heute da?«
    »Sie haben Pech; heute hat sie ihren freien Tag. Sie ist morgen wieder da.«
    »Wohnt sie hier in der Nähe?«
    »Nein, in Puteaux, auf dem anderen Seine-Ufer. Genau über dem Eisenwarengeschäft gegenüber der Brücke.«
    »Ich nehme an, dass sie Ihrer Schwiegertochter beim Packen geholfen hat?«
    »Sie hat die Koffer nach unten getragen.«
    »Wie viele Koffer waren es?«
    »Genau gesagt: ein großer Koffer und zwei Handkoffer aus Leder, außerdem ein Schmuckköfferchen und ein Reisenecessaire.«
    »Eugénie hat also auch an diesem Tag das Haus um fünf verlassen?«
    »Ja, das stimmt. Entschuldigen Sie, wenn ich so aufgeregt bin, aber ich werde zum ersten Mal auf diese Weise befragt. Ich versichere Ihnen –«
    »Ist Ihr Sohn an dem bewussten Abend aus dem Haus gegangen?«
    »Was verstehen Sie unter ›Abend‹?«
    »Sagen wir, kurz vor dem Abendessen.«
    »Er hat einen Spaziergang gemacht, wie er das immer tut.«
    »Vermutlich hat er irgendwo einen Aperitif getrunken?«
    »Er trinkt keinen Alkohol.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nur ein Glas Wein, mit Wasser verdünnt, zu den Mahlzeiten, aber nie und nimmer dieses grässliche Zeug, das sich Aperitif nennt.«
    Man hätte meinen können, dass Boissier, der wortlos in seinem Sessel saß, den Anisduft schnupperte, der noch in seinem Schnurrbart hing.
    »Wir haben mit dem Essen angefangen, sobald er nach Hause kam. Er macht immer denselben Spaziergang. Das ist eine Gewohnheit von ihm aus der Zeit, als wir noch einen Hund hatten, der zu bestimmten Zeiten ausgeführt werden musste, und, na ja, er hat sie eben beibehalten.«
    »Sie haben jetzt keinen Hund mehr?«
    »Seit vier Jahren nicht mehr, seit Bibi gestorben ist.«
    »Haben Sie keine Katze?«
    »Meine Schwiegertochter mochte Katzen nicht leiden. Sehen Sie, ich spreche von ihr schon wieder in der Vergangenheit. Das kommt einfach daher, dass diese Zeit in unseren Augen abgeschlossen und vorbei ist.«
    »Haben Sie sich alle drei zu Tisch gesetzt?«
    »Maria ist heruntergekommen, nachdem ich die Suppe aufgetragen hatte.«
    »Und es hat keinen Wortwechsel gegeben?«
    »Nicht den geringsten. Die Mahlzeit verlief, ohne dass einer ein Wort sagte. Ich merkte, dass Guillaume trotz allem innerlich sehr aufgewühlt war. Auf den ersten Blick wirkt er kühl, aber in Wirklichkeit ist er ein übersensibler Junge. Wenn man mehr als zwei Jahre lang mit jemandem eng zusammengelebt hat …«
    Maigret und Boissier hatten nichts gehört. Die alte Dame hatte jedoch ein gutes Gehör. Sie neigte den Kopf und schien zu lauschen. Das war falsch, denn Maigret merkte es, stand auf und ging zur Tür, um sie zu öffnen. Ein Mann stand davor, größer, breiter und
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