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Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Titel: Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
Autoren: Georges Simenon
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Bestohlene, ein wohlhabender Viehhändler aus der Charente, den zuständigen Parlamentsabgeordneten alarmiert hatte.
    »Wollen ausgerechnet Sie mich daran hindern, mein Kotelett zu essen?«
    In dem winzigen Zimmer stand nur ein einziger Stuhl. Er war stehen geblieben, während das Mädchen gemächlich kaute und so tat, als wäre er Luft für sie.
    Sie musste damals gut zwanzig Jahre alt gewesen sein. Sie war blass, hatte glanzlose Augen und ein langes, knochiges Gesicht. Er sah sie noch vor sich, wie sie mit einem Streichholz in ihren Zähnen herumstocherte und sich dann mit kochendem Wasser Kaffee aufbrühte.
    »Ich habe gesagt, Sie sollen sich anziehen!«
    Ihm war heiß. Der Geruch in dem Hotel verursachte ihm Übelkeit. Hatte sie gespürt, dass er sich nicht wohl fühlte?
    In aller Seelenruhe hatte sie ihren Morgenrock ausgezogen, dann Hemd und Schlüpfer, sich splitternackt auf dem ungemachten Bett ausgestreckt und sich eine Zigarette angezündet.
    »Ich warte!«, hatte er ungeduldig gesagt und sich bemüht, in eine andere Richtung zu blicken.
    »Ich auch!«
    »Ich habe einen Haftbefehl.«
    »Na schön, verhaften Sie mich doch!«
    »Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit!«
    »Ich fühle mich hier sehr wohl.«
    Die Situation war lächerlich gewesen. Sie war ruhig und gelassen geblieben und hatte ein leicht ironisches Funkeln in ihren farblosen Augen gehabt.
    »Sie sagen, Sie verhaften mich. Gut, ich bin einverstanden. Aber Sie dürfen nicht noch erwarten, dass ich Ihnen dabei helfe. Ich bin hier zu Hause. Es ist heiß, und ich habe das Recht, nackt herumzulaufen. Wenn Sie darauf bestehen, dass ich mitkomme, so wie ich bin, habe ich nichts dagegen!«
    Mindestens zehnmal hatte er sie aufgefordert:
    »Ziehen Sie sich an!«
    Vielleicht weil sie eine blasse Haut hatte oder weil die Umgebung so schäbig war, hatte er den Eindruck gehabt, noch nie eine dermaßen nackte Frau gesehen zu haben. Vergeblich hatte er ihr die Kleidungsstücke aufs Bett geworfen, hatte ihr gedroht und es schließlich mit gut Zureden versucht.
    Zu guter Letzt war er nach unten gegangen, um zwei Polizeibeamte zu holen. Die Szene war grotesk geworden. Mit Gewalt hatten sie das Mädchen in eine Decke hüllen und es wie ein Paket über die enge Treppe hinuntertragen müssen, und in den Stockwerken waren der Reihe nach alle Türen aufgegangen.
    Er hatte sie seither nicht wiedergesehen und auch nichts mehr von ihr gehört.
    »Herein mit ihr«, sagte er seufzend.
    Er erkannte sie sofort wieder. Er fand sie überhaupt nicht verändert. Dasselbe schmale, blasse Gesicht, dieselben wasserblauen Augen, den großen blutrot geschminkten Mund, der aussah wie eine klaffende Wunde, und in ihrem Blick die leise Ironie derjenigen, die im Leben schon so viel gesehen haben, dass sie nichts mehr erschüttern kann.
    Sie trug ein anständiges Kleid, einen hellen Strohhut und Handschuhe.
    »Sind Sie mir immer noch böse?«
    Er sog an seiner Pfeife und antwortete nicht.
    »Darf ich mich setzen? Wusste ich’s doch, dass Sie befördert worden sind, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Kann man hier rauchen?«
    Sie holte eine Zigarette aus ihrer Handtasche und steckte sie an.
    »Dass Sie’s nur wissen, auch wenn ich Ihnen nichts vorwerfe: Damals, da war ich im Recht. Ich habe ein Jahr abgesessen, ohne dass ich es verdiente. Diese Lulu hat wirklich existiert, Sie haben sich bloß nicht die Mühe gemacht, sie zu finden. Wir haben zusammen den Dicken getroffen, der Geld wie Heu hatte. Er hat uns beide eingeladen, aber als er mich betätschelte, hat er gesagt, ich solle zum Teufel gehen, magere Mädchen wären ihm zuwider. Ich habe im Korridor gewartet, und eine Stunde später hat mir Lulu die Brieftasche gebracht. Ich sollte sie verstecken.«
    »Was ist aus Lulu geworden?«
    »Vor fünf Jahren führte sie noch ein kleines Restaurant im Süden. Ich wollte Ihnen nur zeigen, dass jeder sich mal irren kann.«
    »Sind Sie deswegen hergekommen?«
    »Nein. Ich möchte mit Ihnen über Alfred sprechen. Wenn er wüsste, dass ich hier bin, würde er wieder mal sagen, dass ich eine blöde Gans bin. Ich hätte mich ja auch an Inspektor Boissier wenden können, der kennt ihn gut.«
    »Wer ist Alfred?«
    »Mein Mann. Er ist wirklich mein Mann, mit Standesamt und sogar mit Pfarrer. Er ist nämlich religiös geblieben. Inspektor Boissier hat ihn ein paar Mal verhaftet. Alfred hat das einmal fünf Jahre im Zuchthaus von Fresnes eingebracht.«
    Ihre Stimme klang fast heiser.
    »Mit dem Namen
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