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Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Titel: Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
Autoren: Georges Simenon
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Jussiaume können Sie vielleicht nichts anfangen, aber wenn Sie seinen Spitznamen hören, wissen Sie bestimmt sofort Bescheid. Man hat oft in den Zeitungen über ihn geschrieben. Es ist der Traurige Alfred.«
    »Der Geldschrankknacker?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Streit mit ihm gehabt?«
    »Nein. Ich bin nicht aus dem Grund gekommen, an den Sie denken. So bin ich nicht. Sie kennen also Alfred?«
    Maigret hatte ihn nie gesehen oder, genauer gesagt, nur flüchtig in den Gängen am Quai erblickt, wenn der Einbrecher auf seine Vernehmung durch Boissier wartete. Er hatte eine vage Vorstellung von einem kleinen, schmächtigen Mann mit unsteten Augen, dem der Anzug um den mageren Körper schlotterte.
    »Wir sehen ihn, glaube ich, nicht mit gleichen Augen«, sagte sie. »Er ist ein armer Kerl. Er ist interessanter, als Sie vielleicht glauben. Ich lebe seit fast zwölf Jahren mit ihm zusammen und fange jetzt erst an, ihn zu verstehen.«
    »Wo steckt er?«
    »Darauf komme ich noch, keine Angst. Ich weiß nicht, wo er ist, aber er hat sich, ohne es zu wollen, schön in die Nesseln gesetzt. Darum bin ich hier. Sie müssen jetzt nur Vertrauen zu mir haben. Ich weiß, dass das viel verlangt ist …«
    Er sah sie neugierig an, denn aus ihren Worten sprach eine rührende Schlichtheit. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und spielte sich auch nicht auf. Wenn sie Zeit brauchte, um ihr Anliegen vorzubringen, dann nur, weil das, was sie mitzuteilen hatte, wirklich kompliziert war.
    Eine Schranke blieb trotzdem zwischen ihr und ihm, und diese Barriere versuchte sie zu überwinden, damit er keinen falschen Eindruck bekam.
    Vom Traurigen Alfred, mit dem er sich nie persönlich hatte befassen müssen, wusste Maigret nur das, was er über ihn im Haus gehört hatte. Er war sozusagen eine berühmte Persönlichkeit, denn die Zeitungen hatten wegen der pittoresken Umstände seiner Delikte immer wieder über ihn berichtet.
    Er hatte lange für die Firma Planchart, die bekannte Geldschrankfabrik, gearbeitet und war einer ihrer tüchtigsten Fachleute gewesen. Er galt als trübsinniger und verschlossener junger Mann, der ständig kränkelte und in regelmäßigen Abständen epileptische Anfälle bekam.
    Boissier konnte Maigret sicher sagen, unter welchen Umständen Alfred die Firma Planchart verlassen hatte.
    Tatsache war: Anstatt Safes einzubauen, hatte er begonnen, sie auszurauben.
    »Als Sie ihn kennenlernten, hatte er da noch seinen festen Arbeitsplatz?«
    »Natürlich nicht. Ich bin es aber nicht gewesen, die ihn auf die schiefe Bahn gebracht hat, wenn Sie das denken. Er lebte von Gelegenheitsarbeiten, war manchmal für einen Schlosser tätig, aber ich habe schnell gemerkt, wohin es ihn zog.«
    »Meinen Sie nicht, dass Sie besser Boissier aufsuchen sollten?«
    »Der ist für Einbrüche zuständig, nicht wahr? Aber Sie bearbeiten doch die Mordfälle?«
    »Hat Alfred jemanden umgebracht?«
    »Hören Sie, Herr Kommissar, ich glaube, es geht schneller, wenn Sie mich ausreden lassen. Alfred ist wer weiß was, aber nicht für alles Gold der Welt würde er jemanden töten. Es klingt vielleicht dämlich, wenn man so etwas von einem Mann wie ihm behauptet, aber er ist ein empfindsamer Mensch, der wegen nichts und wieder nichts in Tränen ausbricht. Ich kann Ihnen ein Lied davon singen. Andere würden sagen, er sei ein Waschlappen. Vielleicht gerade weil er so ist, habe ich ihn lieb.«
    Sie sah Maigret ruhig an. Die letzten Worte hatte sie nicht besonders betont, aber trotzdem mit einigem Stolz ausgesprochen.
    »Die Leute würden Augen machen, wenn sie wüssten, was in ihm vorgeht. Aber was soll’s?! Für sie ist er nur ein Dieb. Er hat sich einmal erwischen lassen und dafür fünf Jahre Knast bekommen. Ich habe ihn an jedem Besuchstag aufgesucht und war die ganze Zeit über gezwungen, meinen alten Beruf auszuüben, und habe dabei etliche Scherereien gehabt, weil ich bei der Sitte nicht registriert war. Das war ja damals noch vorgeschrieben.
    Er hofft immer, dass er einen großen Coup landet und dass wir dann auf dem Land leben können. Das war immer schon sein Traum, seit er ein kleiner Junge war.«
    »Wo wohnen Sie?«
    »Am Quai de Jemmapes, genau gegenüber der Saint-Martin-Schleuse. Wissen Sie, wo das ist? Wir haben zwei Zimmer über einem grün angestrichenen Bistro. Sehr praktisch wegen des Telefons.«
    »Ist Alfred jetzt dort?«
    »Nein. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht weiß, wo er ist. Sie können mir ruhig glauben. Er hat ein Ding gedreht,
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