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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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Finger der Rechten streichelten den Bronzerecken, und die Linke ballte sich immer wieder krampfhaft zur Faust.
    »Das Schicksal hat Ihnen, Sergej Irinarchowitsch, ein großzügiges Geschenk in Gestalt des wahnsinnigen Caliban gemacht. Sie erhielten damit die Möglichkeit, ungeschoren davonzukommen und alle Untaten auf den toten Irren abzuwälzen. Aber Sie hatten sich nicht in der Gewalt und konnten nicht aufhören. Warum wollten Sie unbedingt den Tod des Mädchens? Das ist für mich ein Rätsel. Konnten Sie Colombina nicht verzeihen, daß sie gegen Ihren Charme abgekühlt war? Oder aber sehnten Sie sich, wie das häufig bei Mördern geschieht, im tiefsten Innern danach, von jemandem entlarvt und gestoppt zu werden?«
    »Nein, Herr Psychologe«, entgegnete Prospero nach einer Pause. »Weder das eine noch das andere. Es widerstrebt mir einfach, eine famos begonnene Sache mittendrin abzubrechen.«
    Ich protokollierte das Gesagte Wort für Wort: noch ein indirektes Schuldeingeständnis.
    Gendsi runzelte die Stirn, offenbar frappiert von dieser dreisten Antwort.
    »Sie unternahmen in der Tat einen höchst erfinderischen Versuch, Ihre ›Sache‹ zu Ende zu führen. Colombina erzählte mir von der magischen Schrift ›
Ich warte!‹,
die auf unbegreifliche Weise auf dem zuvor leeren Blatt Papier erschienen war. Wie effektvoll! Verständlich, daß das Mädchen sofort an ein Wunder glaubte. Ich bin in Colombinas Wohnung gewesen und habe sowohl das Blatt Papier wie auch das aufgeschlagene Buch untersucht. Noch ein raffinierter chemischer |292| Hokuspokus. Ein paar Seiten vor der gekennzeichneten Stelle klebten Sie einen Zettel ein, auf den mit Bleiazetat die zwei verhängnisvollen Wörter geschrieben waren. Und das marmorierte Blatt Papier, das die Rolle eines Lesezeichens spielte, wurde vorsorglich mit einer Natriumsulfatlösung getränkt. Nachdem das Buch zugeklappt war, begann das Blei durch die Seiten zu sickern, und nach etwa vierundzwanzig Stunden zeichneten sich auf dem marmorierten Papier die Umrisse der Buchstaben ab. Diese Methode der Geheimschrift wurde bereits im siebzehnten Jahrhundert von Jesuiten erfunden, ist also nicht Ihr Verdienst. Sie haben für das alte Rezept nur eine neue Anwendung gefunden.«
    Gendsi drehte sich zu mir um, wobei er sich auf die Armlehne stützte.
    »Das ist alles, Horatio, die Fakten sind dargelegt. Was die Sachbeweise betrifft, so befindet sich die Fensterscheibe mit den Fingerabdrücken in der Pförtnerloge der Spasskije-Kasernen, die Rohre aus Abaddons Wohnung sind ebenfalls sichergestellt, und das Buch aus Blagowolskis Bibliothek mit dem marmorierten Blatt Papier habe ich in Colombinas Wohnung auf dem Schreibtisch zurückgelassen. Auf dem eingeklebten Zettel und dem mit der Lösung getränkten Blatt Papier sind sicherlich auch Fingerabdrücke des Verbrechers. Die Ermittlung dürfte keine Probleme machen. Da ist das Telephon – rufen Sie an. Sowie die Polizei eintrifft, entferne ich mich, und Sie denken an Ihr Versprechen.«
    Ich erhob mich, um zu dem Wandtelephon zu gehen, doch Blagowolski bat mich mit einer Handbewegung, noch zu warten.
    »Noch nicht, Freund Horatio. Der Herr Detektiv hat durch Beredsamkeit und Scharfsinn geglänzt. Es wäre ungerecht, wenn ich darauf nichts erwidern dürfte.«
    |293| Ich sah Gendsi fragend an. Der nickte, Prospero wachsam im Auge behaltend, und ich setzte mich wieder.
    Blagowolski lachte auf, klappte den Helm des Tintenfaß-Recken hoch und wieder herunter und trommelte mit den Fingern darauf.
    »Sie haben hier eine psychologische Theorie entwickelt, die mich als kleinmütigen Trottel darstellt. Ihren Ausführungen zufolge erklärt sich meine ganze Tätigkeit aus panischer Angst vor dem Tod, dem ich einen Aufschub abhandle, indem ich ihm Menschen opfere. Es reicht, Herr Gendsi. Wozu den Gegner unterschätzen und demütigen? Das ist zumindest unbedacht. Vielleicht hatte ich früher einmal wirklich Angst zu sterben, aber das ist sehr, sehr lange her, viele Jahre, bevor die Steinwände der Kasematten alle starken Gefühle, alle Leidenschaften in mir auslöschten. Außer einer, der höchsten –
Gott zu sein
. Lange Einzelhaft fördert die Erkenntnis einer einfachen Wahrheit: Du bist allein auf der Welt, das ganze Weltall ist in dir, also bist du Gott. Wenn du willst, lebt das Weltall. Wenn du nicht willst, geht es zugrunde. Das würde geschehen, wenn ich, Gott, Selbstmord beginge. Im Vergleich zu einer solchen Katastrophe sind alle anderen Tode
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