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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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den gelblichen Streifen, der bis zur Mitte geht? Das ist gewöhnlicher Büroleim. Versuchen Sie, das Buch auf irgendeiner Seite aufzuschlagen.«
    Ich klappte das Buch mit zwei Fingern auf und traute meinen Augen nicht – auf der Seite stand in Großbuchstaben die Kapitelüberschrift »Feuer ist rot«.
    »Verstehen Sie jetzt?« fragte mich Gendsi. »Es stand im voraus fest, was Gdlewski am zweiten Freitag bei der Befragung des Schicksals lesen würde.«
    Ja, der Plan war einfach und psychologisch exakt. Ich verstand noch etwas anderes: Eben das war die »Bombe«, die Cyrano in der Morgenausgabe seiner Zeitung platzen lassen wollte. Er hatte, ebenso wie Gendsi, den Trick mit dem Leim entdeckt und begriffen, daß er seine Nachforschungen mit einer höchst pikanten Sauce anrichten konnte. Die Sache bekam |289| einen kriminellen Beigeschmack! Der arme Cyrano ahnte nicht, daß die »Bombe« ihn selber umbringen würde.
    »Am dritten Freitag beschlossen Sie zu handeln, ohne Gdlewski die geringste Chance zu lassen. Nach dem ›Erfolg‹ der beiden ersten Orakel stand der Jüngling begreiflicherweise unter solcher Spannung, daß er in allem, was um ihn her geschah, ›Zeichen‹ sah. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn er seinen verhängnisvollen Reim auch ohne Ihr Zutun gefunden hätte, aber um ganz sicherzugehen, inszenierten Sie für ihn das Gesuchte direkt vor Ihrem Haus: Sie dingten einen umherziehenden Leierkastenmann und trugen ihm auf, ein Lied mit einem bestimmten Refrain zu grölen, und zwar so lange, bis ein gewisser junger Mann vorüberging, dessen Äußeres Sie ihm genau beschrieben. Ich glaube nicht, daß Sie den Leierkastenmann in Ihr Vorhaben einweihten, aber Sie schärften ihm ein, daß er nach Erfüllung seiner Aufgabe sofort zu verschwinden habe. Das tat der Alte mit aller ihm zu Gebote stehenden Behendigkeit. Als ich zwei Minuten später auf die Straße lief, konnte ich ihn nicht mehr finden.
    Also, Sie hatten Gdlewski zum Tode verurteilt, und er wäre sicherlich sein eigener Henker geworden, aber da mischte sich Caliban ein, der schon lange auf den jungen Mann eifersüchtig war. Als sich nun zeigte, daß Gdlewski nicht nur von Ihnen, sondern auch vom TOD selbst bevorzugt wurde, beschloß der geisteskranke Buchhalter, den glücklichen Rivalen zu vernichten …
    Der Mord an dem Reporter Shemailo ist der einzige Tod, an dem Sie nicht direkt beteiligt sind, wenn man davon absieht, daß Sie seinerzeit sagten, der Zeitungsinformant sei ein Judas, der Sie verraten werde, so wie einst Christus verraten wurde. Für Caliban waren Sie in der Tat der Erlöser, |290| und als er auf irgendeine Weise von Cyranos wahrer Beschäftigung erfuhr, tötete er ihn und knüpfte ihn an der Espe auf.«
    In diesem Moment empfand ich zugegebenermaßen etwas wie Genugtuung. Kein sehr würdiges, aber ein erklärliches Gefühl. Sie wissen also auch nicht alles, neunmalgescheiter Untersuchungsführer, sagte ich im stillen. Ihnen ist entgangen, daß Caliban das Telephongespräch Cyranos mit seiner Redaktion belauschte.
    Aber Gendsi war schon zum letzten Punkt seiner Anklage übergegangen.
    »Am sorgfältigsten und hinterhältigsten bereiteten Sie Colombinas Selbstmord vor. Zuerst ließen Sie ihr nacheinander drei Zettel mit deutscher Schrift zukommen. Sie hat sie mir vorgestern, nach Calibans Überfall, gegeben und gesagt, daß diese Botschaften im Feuer nicht brennen. Ich habe das Papier einer chemischen Analyse unterzogen und festgestellt, daß es mit einer Alaunlösung getränkt ist, was es unentzündbar macht. Ein alter Trick, den seinerzeit schon Graf Saint-Germain anwandte. Um Colombina den Gedanken einzuflößen, die Schreiben auf ihre Unbrennbarkeit zu prüfen, ließen Sie auch Caliban eine Botschaft des TODES zukommen, die aber auf gewöhnlichem Papier geschrieben war. Es funktionierte hervorragend, Sie bedachten nur eines nicht – Caliban fühlte sich zutiefst verletzt und beschloß, mit der Auserwählten des TODES genauso abzurechnen wie mit Gdlewski. Zum Glück war ich rechtzeitig zur Stelle.«
    Ich sah, wie sich Blagowolskis Verhalten veränderte. Er versuchte nicht mehr, dem Ankläger zu widersprechen oder seine Behauptungen zu bestreiten. Zusammengesunken saß er da, aus seinem Gesicht war alles Blut gewichen, in seinen Augen, die unverwandt auf den Redenden gerichtet waren, |291| stand Angst. Er mußte spüren, daß sich das Finale näherte. Von seiner Nervosität sprachen auch die Bewegungen seiner Hände: die
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