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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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meiner Natur bewußt.
    Es gelang Blagowolski binnen kürzester Zeit, mich in ein stocksteifes Kaninchen zu verwandeln, das sich unter dem Blick der Riesenschlange nicht zu bewegen wagt.
    »Einen überflüssigen Dritten gibt es nicht mehr, niemand wird uns stören«, sagte der Doge, »und ich werde dir erzählen, wie alles wirklich war. Du bist klug, du wirst Lüge von Wahrheit zu unterscheiden wissen. Aber zuerst wollen |299| wir anstoßen – auf den Frieden der flügellahmen Seele des Herrn Gendsi. Wie es nach russischem Brauch üblich ist, mit Wodka.«
    Mit diesen Worten ging er zu einer Wandnische, in der ein riesiger geschnitzter Schrank stand, und öffnete eine Tür. Ich sah Flaschen, Karaffen, Gläser.
    Da ich nicht mehr dem behexenden Blick ausgesetzt war, erwachte mein Verstand wieder. Ich sah zur Wanduhr und stellte fest, daß weniger als fünf Minuten vergangen waren. Vielleicht hielt Gendsi sich noch! Doch bevor ich einen Entschluß fassen konnte, kam Blagowolski zum Schreibtisch zurück, fixierte mich mit seinen schwarzen Augen, und mich umfing wieder wohlige Trägheit. Ich dachte nichts mehr, hörte nur noch die Laute der gebieterischen Stimme. Zwischen uns stand der Schreibtisch, darauf das in Ungnade gefallene Roulette, dessen vernickelte Hebelchen blinkten.
    »Hier sind zwei Gläser«, sagte der Doge. »Für gewöhnlich trinke ich keinen Wodka – wegen meiner kranken Leber, aber nach solch einer Erschütterung wird es uns beiden guttun. Nimm.«
    Er stellte das Glas auf ein Fach (ein schwarzes, wie ich noch weiß) des Glücksrads, gab diesem einen leichten Schubs, und das Kristallgefäß bewegte sich im Halbbogen langsam auf mich zu. Dann hielt er das Rad an und stellte das zweite Glas vor sich hin, auch auf ein schwarzes Quadrat.
    »Du wirst mir glauben und nur mir«, sprach der Doge gewichtig. »Ich allein sehe und verstehe die Beschaffenheit deiner Seele. Du, Horatio, bist kein Mensch, sondern die Hälfte eines Menschen, darum mußt du deine zweite Hälfte suchen. Du hast sie gefunden. Deine zweite Hälfte bin ich. Wir werden ein Ganzes sein, und du wirst ruhig und glücklich …« |300| In dem Augenblick ertönte von unten ein scharfes Krachen. Wir zuckten zusammen und drehten uns um. Eine Parkettafel über der Geheimluke war geborsten, in der Mitte des Risses war ein kleines rundes Loch.
    »Was für eine Teufe…«, setzte Prospero an, aber da krachte es wieder – fünf- oder sechsmal.
    Neben dem ersten Löchlein erschienen weitere. Späne flogen umher, zwei Parkettafeln sprangen heraus. Ich erriet: Gendsi feuerte auf den Lukendeckel. Aber wozu? Was erreichte er damit?
    Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Dumpfe Schläge drangen herauf: einer, ein zweiter, dritter. Beim vierten brach das Parkett auf, und ich traute meinen Augen nicht: Aus dem Loch schob sich eine Faust. Kaum zu glauben, aber Gendsi hatte es fertiggebracht, mit der bloßen Hand den Lukendeckel zu durchschlagen – an der Stelle, wo er von Kugeln durchlöchert war!
    Die Faust lockerte sich, die Finger griffen nach dem Rand der entstandenen Öffnung und wollten den Deckel nach unten ziehen, gegen den Widerstand der Feder.
    »Das ist der Teufel persönlich!« schrie Prospero, warf sich bäuchlings über den Schreibtisch und langte nach dem Tintenfaß.
    Ich konnte ihn nicht daran hindern. Er drehte den Recken, und die Luke öffnete sich. Ein Stöhnen, ein dumpfer Schlag und gleich danach unheilvolles, sich rasch entfernendes Gepolter.
    Von dem Gerumpel erbebte auch der Tisch, das Roulette geriet in Bewegung und beschrieb wieder einen Halbkreis. Ein paar Tropfen Wodka schwappten über.
    »Uff«, sagte Prospero erleichtert und richtete sich auf. »Was für ein hartnäckiger Herr. Und alles nur, weil wir nicht rechtzeitig |301| auf seinen Seelenfrieden getrunken haben. Also ex, Horatio, ex. Damit er nicht noch mal herauskriecht. Na los!«
    Der Doge runzelte drohend die Brauen, und ich nahm gehorsam das Glas auf.
    »Eins, zwei, drei, und ex«, befahl Blagowolski. »Hol der Teufel die kranke Leber. Eins, zwei, drei!«
    Ich kippte den Wodka und wäre fast erstickt, als die beißende Flüssigkeit in der Kehle brannte. Ich muß dazu sagen, daß ich das russische Nationalgetränk nicht mag, sondern Mosel- oder Rheinwein bevorzuge.
    Als ich mir die Tränen abgewischt hatte, verblüffte mich die Veränderung, die mit Blagowolski vorging. Er griff sich an die Kehle, und die Augen traten ihm aus den Höhlen. Ich kann nicht den Ausdruck des
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