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Woge der Begierde

Woge der Begierde

Titel: Woge der Begierde
Autoren: Shirlee Busbee
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    G laubst du, er ist noch am Leben?«, fragte Charles und starrte dabei in die lodernden Flammen im Kamin.
    Auf Charles’ Frage hin blickte sein Cousin Julian, Lord Wyndham, jäh von den bauchigen Gläsern auf, in die er gerade Brandy für sie beide eingeschenkt hatte. Er wusste sofort, wer mit diesem »er« gemeint war: Raoul Weston, Charles’ jüngerer Halbbruder. Das Ungeheuer, das seit inzwischen beinahe zweieinhalb Jahren tot war.
    Julian reichte Charles einen der Schwenker und erwiderte: »Wir haben beide auf ihn geschossen und ihn nicht verfehlt. Er ist von zwei Kugeln in die Brust getroffen worden, das haben wir beide gesehen, und das Blut auch, das aus den Wunden strömte. Ich glaube nicht, dass er so schwere Verletzungen überleben konnte.«
    Charles bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln. »Aber wir haben nie eine Leiche gefunden, nicht wahr?«
    Julian verzog das Gesicht. »Stimmt, und ich will einräumen, dass er vielleicht eine Weile noch gelebt hat - lang genug, um davonzukriechen und sich vor uns zu verstecken. Aber ich bin davon überzeugt, dass er tot ist.« Er setzte sich auf einen mit feinem spanischem Leder bezogenen Stuhl, nicht weit vom Feuer im Kamin entfernt. Ruhig erklärte er: »Seit der Nacht hat Nell keine Albträume mehr von ihm gehabt, und das bestärkt mich mehr als alles andere in meiner Überzeugung, dass er nicht mehr am Leben ist.«

    Charles nickte, mehr für sich als für Julian, war aber in Gedanken wieder in jener schrecklichen Frühlingsnacht vor mehr als zwei Jahren. Viel war seitdem geschehen, und wenig davon war angenehm gewesen. In der Nacht hatte er nicht nur herausgefunden, dass sein Bruder ihn abgrundtief hasste und vorgehabt hatte, ihn umzubringen, um Stonegate zu erben, sondern auch, dass Raoul ein hinterhältiger Mörder unschuldiger junger Frauen war. Mein eigener Bruder! Ein Ungeheuer! Er atmete tief ein. Halb bruder, rief er sich schmerzlich in Erinnerung, als er daran dachte, wie Raoul ihm dieses Wort entgegengeschleudert hatte. Aber es war in jener Nacht nicht nur Raouls Blut vergossen worden, erinnerte sich Charles müde. Nein. Raouls Mutter, meine Stiefmutter Sophie ist ebenfalls gestorben. Durch meine Hand, gestand er sich ein und nahm einen langen Schluck Brandy. Ich habe Sophie erschossen und, so wahr mir Gott helfe, unter den gleichen Umständen würde ich es wieder tun. Einen Augenblick lang drangen die hässlichen Erinnerungen auf ihn ein, sodass er trotz des wärmenden Feuers erschauerte.
    In der dunklen Novembernacht pfiff und heulte der Wind laut um die massiven Mauern des Gebäudes. Der Wind draußen war brutal, fuhr schneidend durch alle, Mensch oder Tier, die das Pech hatten, zu dieser Stunde unterwegs zu sein. Doch in der eleganten Bibliothek von Wyndham Manor gab es nur behagliche Wärme - worüber Charles froh war. Erinnerungen an diese Nacht ließen ihn nicht zur Ruhe kommen, und sie peinigten ihn - so wie der Wind draußen jedes Lebewesen, das ihm ausgeliefert war. Er versuchte, die Erinnerungen abzuschütteln, ihnen den Rücken zu kehren, blickte sich im Zimmer um und freute sich an dem warmen gelblichen Licht Dutzender Kerzen,
das den anheimelnden Raum erfüllte und für einen kurzen Moment die Dunkelheit aus seiner Seele vertrieb.
    »Bezweifelst du, dass er tot ist?«, erkundigte sich Julian mit einer hochgezogenen Augenbraue.
    »Mir wäre es lieber, wir hätten seinen Leichnam gefunden«, entgegnete Charles und gönnte sich einen weiteren Schluck Brandy.
    »Ich wiederhole, wir haben beide seine Verwundungen gesehen. Die konnte er nicht überleben.«
    »Warum haben wir dann nicht seine Leiche entdeckt, als wir in der Höhle unter dem Kerker nachgesehen haben?«
    »Weil er verflixt gerissen war und eine Nische gefunden hat, in der er sich versteckt hat und dann gestorben ist«, versetzte Julian scharf, dem es nicht behagte, an diese entsetzliche Nacht erinnert zu werden - eine Nacht, in der er beinahe seine Frau Nell und ihr ungeborenes Kind verloren hätte. Müde fuhr sich Julian mit einer Hand durch sein dichtes schwarzes Haar. »Ich hätte auch lieber seine Leiche gesehen, das kann ich nicht leugnen, aber das haben wir trotz intensiver Suche mit sicherlich der Hälfte aller Männer der Gegend nicht getan. Es gab zahllose Ritzen und Spalten im Fels, in denen sich sein Körper befunden haben kann. Wir haben ihn nicht entdeckt, aber das heißt nicht, dass er noch lebt.«
    Charles nickte. Die Logik sagte ihm, dass es sich so verhielt,
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