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Märchen

Märchen

Titel: Märchen
Autoren: Astrid Lindgren
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gescheuert und mit gehacktem Wacholder bestreut! Ja, alles war schön und froh gewesen daheim, ehe die Krankheit kam.

    Aber hier im Spittel war es so häßlich, daß man weinen konnte, und vor dem Fenster lag nur ein karger Kartoffelacker, da war kein Maiglöckchenwald und kein blühender Apfelbaum.
    Ich Ärmste, dachte Malin, jetzt bin ich die jüngste Armenhäuslerin von Norka, und alles Schöne ist vorbei und alle Freude.
    In der Nacht schlief sie in einem Winkel auf den Dielen, aber noch lange lag sie wach und hörte die Spittler schnaufen und schnarchen. Zu zweit in einem Bett schliefen sie nach des Tages Mühen und Wanderungen, Schiefmaul mit Sommer-Nisse, Jocke Kis mit Ola auf Jola, Hühner-Hilma mit Liebe Güte, Krücken-Anna mit Keif-Marja. Pompadulla aber wohnte allein oben in der Dachkammer und teilte das Bett nur mit den Wanzen.
    In der Frühe erwachte Malin, und in der kalten, grauen Morgen-dämmerung sah sie die Scharen der Wanzen über die Tapete spazieren. Jetzt kehrten sie heim zu ihren Ritzen und Spalten, aber in der nächsten Nacht würden sie wiederkommen, um sich an den Spittlern von Norka zu mästen.
    Wäre ich eine Wanze, dann würde ich von hier fortziehen, dachte Malin. Aber vielleicht fragen die Wanzen nicht danach, was schön ist und froh macht, solange es hier nur vier Betten mit acht Spittlern gibt und eine kleine Spittlerin auf den nackten Dielen.
    Von ihrem Winkel aus konnte Malin auch sehen, was unter den Betten stand und lag. Alles, was die Armenhäusler von den Dörflern erbettelt und erjammert hatten, das verwahrten sie dort in Schachteln und Beuteln, ein jeder seine Brotkanten, ein jeder seine Erbsen und seine Grütze, ein jeder sein Speckstreifchen, seine paar kümmerlichen Kaffeebohnen und seinen Kessel mit dickem, altem Kaffeesatz.
    Jetzt erwachten die Alten, einer nach dem anderen, und zeterten und zankten, wer sich zuerst seinen Kaffee brauen dürfe. Mit ihren Kesseln schubsten und drängten sie sich um den offenen Herd, sie schimpften und schalten, doch da trat die großmächtige Pompadulla ein. Sie schob sie alle kurzerhand beiseite und setzte ihren eigenen dreibeinigen Kessel aufs Feuer.
    »Zuerst braue ich ein Schlückchen für mich und meine Kleinmagd«, sagte sie.
    Denn in der Nacht hatte sie sich ausgedacht, daß eine Kleinmagd sehr nützlich sein könne, wenn man mit dem Bettelsack umherzog.
    Schließlich mußten die Dörfler ja um Gottes Barmherzigkeit willen dafür sorgen, daß unschuldige Kinder nicht Hungers starben.
    Deshalb bekam Malin von Pompadulla jetzt einen Klaps auf die Wange und Kaffee und Zwieback, und fortan war sie also Pompadullas Kleinmagd und würde es bleiben. Doch Jocke Kis, der nicht ganz richtig war im Kopf, er sagte, hoho, jaja, dann habe die Königin Pompadulla ja jetzt eine Erbin für ihr Reich.
    »Welches Reich denn?« wollte Pompadulla wissen.
    »Das Elendsreich«, sagte Jocke Kis. »Armenhauskönigin, der Wanzen hohe Herrscherin, das kann sie dann werden, deine Kleinmagd.«
    Und Malin saß traurig dabei, und über den Rand der Kaffeetasse hinweg sah sie sich um im Elend des Spittels und versuchte eine einzige winzige Kleinigkeit zu erspähen, die schön war.
    Doch da gab es nichts, nein, nichts. Da betete sie zum lieben Gott, daß er ihr ein besseres Los bescheren möge, als Jocke Kis ihr vorausgesagt hatte. Sie betete, daß er es ihr erlassen möge, Armenhauskönigin zu werden und aller Wanzen Herrscherin.
    Und dann begann sie ihre Wanderung mit Pompadulla. Sie zogen von Hof zu Hof und bettelten um Brot. Und Pompadulla war sehr zufrieden mit ihrer Kleinmagd, sie steckte ihr die besten Bissen zu von dem, was sie erbettelt hatten, und am Abend prahlte sie vor den anderen Spittlern, die keine Kleinmagd hatten.
    Da Malin ein gutes Herz hatte, bemühte sie sich, allen eine gute Kleinmagd zu sein. Wenn Hühner-Hilma mit ihren krummen Fingern nicht das Schuhband knüpfen konnte, dann knüpfte Malin es ihr, und wenn Liebe Güte ihre Knäuel fallen ließ, dann hob Malin sie ihr auf, und wenn Jocke Kis sich ängstigte, weil er Stimmen im Kopf hörte, dann tröstete und beruhigte Malin ihn. Doch sich selbst konnte sie nicht trösten, denn für den, der

    ohne etwas Schönes nicht leben kann, gab es im Spittel von Norka keinen Trost.
    Auf ihren Wanderungen mit Pompadulla kam sie eines Tages auch zum Pfarrhof, und die Pfarrersfrau gab ihnen um Gottes Barmherzigkeit willen Brot für den Bettelsack und einen Teller voll Wassergrütze am Küchentisch.
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