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Madru

Madru

Titel: Madru
Autoren: Frederik Hetmann
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war die einzige Unterhaltung, der einzige Zuspruch, der zu den Hungernden und zur Untätigkeit Verurteilten kam. In der »Aurora« stand, was sie dachten, empfanden, grummelten, fluchten, was sie ohnmächtig hinnehmen mußten.
    Durch die »Aurora« erfuhren sie, daß der Lohn pro hundert Hölzer, sobald die Sägen wieder liefen, auf 32 Öre herabgesetzt werden solle. Das war eine Lohnsenkung um genau 10%. Sie wurde damit begründet, daß die Sägewerksbesitzer ihre Verluste in diesem ungewöhnlich schneereichen Winters irgendwie wettmachen müßten. In der »Aurora« stand auf der Titelseite in zehn Zentimeter großen Lettern nur ein Wort auf grauem Papier: STREIK! Im Leitartikel auf Seite zwei hieß es, daß man so oder so verrecken könne – arbeitend für einen Hungerlohn in Unterwürfigkeit oder streikend erhobenen Hauptes, mit Aussicht auf eine Veränderung.
    Bald kam es noch schlimmer. Die Sägewerksbesitzer forderten Militär aus dem Süden an, um den Streik brechen zu lassen. Nach zwei Tagen, als einige Soldaten Verwandte besucht hatten, weigerten sie sich, gewisse Befehle auszuführen. Auch die Offiziere waren von dem Ausmaß des Elends und der Zahl der Hungertoten, die unbegraben liegengeblieben waren, beeindruckt. Sie riskierten manche Befehle erst gar nicht mehr. Dann lud Sunderman sie zu einem Punsch in sein neues Haus ein.
    Am nächsten Morgen wurde bekannt, die Sägewerksbesitzer erklärten sich zu einer Pauschalzahlung für die Zeit der Arbeitsruhe durch höhere Gewalt und zur Beibehaltung der alten Lohnsätze bereit. Madru, der mit den Streikführern sprach, riet ihnen, sich im übrigen mit der Gründung einer »Arbeitervereinigung« zufriedenzugeben. »Gewerkschaft« war das Reizwort.
    Die Verhandlungen gerieten ins Stocken. Die Arbeiter und Holzfäller baten Madru, allein mit Sunderman zu verhandeln. Die alten Feinde an einem Tisch? »Wie sollte ich mit ihm zu einer Verständigung kommen, wenn ihr es nicht geschafft habt?« fragte Madru. Sie hatten zwei Argumente: »Er haßt dich. Du kannst besser reden als wir.«
    »Und ich habe freie Hand?« fragte sie Madru.
    »Das hast du.«
    Sunderman ließ Brandy auftragen, als sie sich gegenübersaßen. Madru rührte das Glas nicht an.
    »Was ist denn, Herr Redakteur?«, fragte Sunderman, nachdem er sein Glas mit einem Schluck ausgetrunken hatte.
    »Schluckt die Kröte ›Arbeitervereinigung‹, und ich schlucke Euren Branntwein. Wo nicht, kann ich nicht dafür garantieren, daß es nicht heute noch zu Plünderungen kommt. Die Leute wissen, in welchen Läden noch Lebensmittel lagern. Ob Soldaten auf Frauen schießen, die stehlen gehen, damit ihnen das letzte Kind nicht auch noch stirbt, müßt Ihr wissen.«
    Sunderman überlegte. Der Erbe war noch nicht geboren.
    »Also meinetwegen, Herr Redakteur«, sagte er darauf, »man ist kein Unmensch«, er sah Madru scharf an, »auch wenn man immer wieder dafür gehalten wird. Ich stimme der Gründung einer Arbeitervereinigung zu. «
    »Gegründet ist sie schon«, erwiderte Madru, »Ihr werdet in Zukunft mit ihr die Löhne aushandeln müssen.«
    Sunderman sagte nichts. Er schenkte sich wieder ein. Sie kippten beide den Branntwein. Madru bekam weiche Knie von dem einen Glas, mit dem die Zustimmung begossen wurde.
    Die Arbeitervereinigung hieß »Aurora« wie die Zeitung. Für die Zeitung konnten sie nun wieder Geld nehmen.
    Als Madru im Sommer zurückdachte an den Winter, fiel ihm ein bestimmter Freitagabend wieder ein. Björn war mit dem Jungen nach Ljusdal hinübergegangen, wo sie jetzt auch Zeitungen verkauften. Es war immer noch sicherer, man ging zu zweit. Sunderman hatte seine »Schweinehunde« zwar an die Kette gelegt, aber es war schwer zu sagen, wie lange der Frieden dauern würde. Jule stand mit der neuen Ausgabe der »Aurora« in der Hand am Packtisch Madru gegenüber. Sie überflog noch einmal die einzelnen Artikel. Ihr Gesicht war härter und schmaler geworden in den letzten Monaten. Madru fiel die gelbliche Hautfarbe auf. Er sah in ihre groß aufgerissenen, erstaunt und respektlos in die Welt blickenden Augen. Das unordentliche Haar. Eine Schlampe, dachte er, eine ausgezehrte, abgearbeitete Schlampe. Er dachte auch an Alissa, an das Mädchen Melancholia, an die Schwarze Köchin und die schöne Gunilla. Es war ein quälendes Gefühl, so lange ohne Frau zu sein.
    Jule mußte aufgefallen sein, daß er sie gemustert hatte … verglichen mit den anderen Frauen. Vielleicht wußte sie auch das. Sie ließ das
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