Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madru

Madru

Titel: Madru
Autoren: Frederik Hetmann
Vom Netzwerk:
die ihr kurz vor und während des Streiks im Winter des Blauen Schnees zukam. Sie ist eine lästige Mücke. Dennoch gibt es in den Kontoren der Aktiengesellschaft nicht wenige Leute, die es gern sähen, wenn das Insekt endlich auf einem Fliegenleimpapier kleben bliebe.
    Aus der »Arbeitervereinigung« ist unterdessen die »Vereinigte Gewerkschaft der Holzfäller und Sägearbeiter« geworden. Fast jeder der kleinen Leute ist Mitglied. Es sind geschulte Berufsfunktionäre aus dem Süden heraufgeschickt worden, die das Heft in die Hand genommen haben. Gut und schön. Die Gewerkschaft unterhält jetzt ein Büro in Ljusdal. Was sein muß, muß sein. Die Funktionäre erledigen alles. Sie verhandeln mit der Aktiengesellschaft, sie erklären den Arbeitern, wie sie die Dinge zu sehen haben. Und so, wie sie sagen, daß man sie zu sehen hätte, hat man sie auch zu sehen. Wegen der Solidarität. Beispielsweise können die Funktionäre einem erklären, warum die Gewerkschaft zum Aufforstungsgesetz vorerst schweigt. Das sieht nämlich so aus, Kollegen. Jetzt ist Boom. Heute und in den nächsten fünf, sechs Jahren läßt sich an Lohnerhöhungen für euch noch einiges herausholen. Erfolge in den Lohnverhandlungen - das heißt mehr Mitglieder, heißt noch mehr Macht, noch mehr Druck … das kommt euch allen zugute. Wenn nun das Aufforstungsgesetz im Reichstag angenommen wird - und es wird angenommen werden -, entstehen der Aktiengesellschaft enorm hohe Kosten. Lohnerhöhungen könnt ihr dann für die nächsten Jahre vergessen. Also, laßt euch sagen: grundsätzlich und prinzipiell sind wir für das Aufforstungsgesetz; es gibt nur eben Gründe, das nicht an die große Glocke zu hängen.
    Was Madru an der Politik der »Vereinigten Gewerkschaft« mißfällt, ist solche Taktiererei. Auch, daß jeder, der sich nicht strikt an die gewerkschaftliche Sprachregelung hält, gleich immer zu hören bekommt: also das ginge nicht: So-li-da-ri-tät!
    Madru nimmt sich die Freiheit, hin und wieder sich auch seine eigenen Gedanken zu machen, am Lack zu kratzen, wider den Stachel zu löcken. Für die Gewerkschaftsfunktionäre ist er ein anarchistischer Querkopf, ein Naturschutz-Heini, und wenn die »Aurora« einginge, auch sie würden dem Blättchen keine Träne nachweinen.
    Neulich hat ihn einer gefragt, was er eigentlich dagegen hätte, wenn aus dem bescheidenen Wohlstand der letzten Jahre ein satter Wohlstand würde. Blöde Frage. Das ist nicht der Punkt. Er ist kein Armutsapostel. Aber er kann sich auch nicht an ihrem Fortschrittsglauben besaufen. Und vor allem verteidigt er den Großen Wald. Das begreifen sie nun schon gar nicht. Herrliche Zeiten. Jeden Tag tut es einen Ruck, und man kommt damit dem Zustand näher, wo es keinen Streit, keinen Hunger, keine Krankheiten, keine schwere Arbeit und vielleicht auch keinen Großen Wald mehr geben wird.
    Auch sonst hat sich einiges verändert. Der Hafen von Glada Hudik ist so gut wie tot, seitdem die Eisenbahnstrecke bis hinauf nach Hennan geführt worden ist. Sunderman hat in Glada Hudik, wo er jetzt auch wohnt, anläßlich der Geburt seines Erben, einen Bau gestiftet, die Nachbildung einer norwegischen Stabkirche. Er hat seine Frau und seine beiden Kinder kürzlich in Öl malen lassen. In Ljusdal gibt es einen Aussichtsturm, der an jenes hölzerne Zelt erinnert, in dem Madru die Zeit vor seiner Inthronisierung verbracht hat, nur daß dieser Aussichtsturm drei- bis viermal so hoch ist wie jene Hütte damals vor mehr als tausend Jahren. Madru ist einmal dort hinaufgestiegen. Ljusdal nimmt sich immer noch wie ein Fliegenklecks aus, winzig mit den angrenzenden Wiesen, im Vergleich zu den Wäldern, die sich in drei Himmelsrichtungen bis zum Horizont ausdehnen. Der Wald ist noch immer ein Großer Wald. Das hat Madru wieder Mut gemacht, auch wenn man von dort oben das gewaltige Ausmaß der Einschläge hat noch besser erkennen können.
    Madru besitzt ein Motorrad, auf dem fährt er zweimal in der Woche von Färila nach Ängratörn. Die Rote Jule ist jetzt ständig draußen in Ängratörn. Sie ist schwanger. Es ist nicht mehr lange hin bis zur Niederkunft. Wieder eine Frau, die ein Kind von ihm trägt. Madru verfällt, seit er von Jules Schwangerschaft weiß, immer wieder ins Grübeln. Das Massaker in der Großen Halle steht ihm plötzlich wieder deutlich vor Augen. Es fällt ihm ein, daß der Stein mit der Inschrift vom Feuer nicht vernichtet worden sein wird. Er verwendet viel Zeit darauf, ihn zu suchen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher