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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig
Autoren: Christian Ankowitsch
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wieder, komplexe Situationen zu meistern und schnelle Entscheidungen zu treffen.
    Indem unser Gehirn beständig die Kompetenz und Autonomie unseres Ichs rekonstruiert, tut es das auch mit den Regeln, die wir unserem Weltbild zugrunde gelegt haben. Die Qualität dieser Regeln erklärt sich jedoch weniger aus ihren konkreten Inhalten, nicht zuletzt, weil wir immer wieder neue Erfahrungen machen, die uns zu entsprechenden Änderungen nötigen. Viel wichtiger ist ihre grundsätzliche Struktur: Sie sind einfach und in sich widerspruchslos angelegt. Eine Struktur, die auch unsere Weltaneignungsstrategien organisiert. Da kommt uns der weiter oben vom Schweizer Neuropsychologen Peter Brugger eingeführte Tiger sehr gelegen. Denn wir sollten davon ausgehen, daß wir die meiste Zeit unserer evolutionären Entwicklung damit zugebracht haben, diese Strategien anhand von Raubtieren zu schulen, die im Gebüsch lagen und uns auffressen wollten. Um ihnen zu entkommen, war es unabdingbar, schnelle Entscheidungen zu treffen: ruhig bleiben, angreifen oder flüchten. Grundvoraussetzung für solch schnelle Entscheidungen waren Bilder von der Welt, die sich durch eine entscheidende Eigenschaft auszeichneten: ihre Eindeutigkeit. Also dadurch, klar, plakativ und schnell lesbar zu sein. Dasselbe galt für die Konstruktion jener Regeln, die uns das Überleben sichern sollten. Auch sie mußten diesen Qualitäten gehorchen. Für die Idee, daß die Wirklichkeit auf verschiedene Weise lesbar sein könnte, war in solchen Momenten nicht nur keine Zeit, sie waren schlicht und einfach lebensgefährlich. Kein Wunder also, daß unser Gehirn sich über Jahrtausende darin übte, in einfachen Mustern zu denken und zu planen. Dieser Tradition sind wir bis heute treu geblieben.
    Auf diese Weise haben wir zum Beispiel eine der einfachsten und effektivsten Regeln gebildet, die sich denken läßt. Sie klingt im ersten Moment aufreizend selbstverständlich: Gut ist, was wir wiedererkennen – also von dem wir das Gefühl haben, ihm schon einmal begegnet zu sein, wenn wir auch nicht zu sagen wissen, wo, wann, warum und was wir von ihm halten. Und doch bestimmt diese Regel unser Verhalten auf mitunter weitreichende Weise. Wie etwa der Psychologe Gerd Gigerenzer herausgefunden hat, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. In einer Studie befragte er gemeinsam mit dem Volkswirt Andreas Ortmann hundert Passanten in Berlin, von welchen Aktien auf seiner Liste sie schon einmal gehört hätten [18] . Aus den zehn Aktien, die am häufigsten wiedererkannt wurden, bildeten sie ein Portfolio. Damit beteiligten sie sich dann an einem Börsenspiel, das das Wirtschaftsmagazin
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im Jahr 2000 veranstaltet hat. Als das Spiel losging, herrschte gerade Flaute auf dem Aktienmarkt. Dennoch stieg Gigerenzers Portfolio, das «nicht auf Expertenwissen und raffinierter Software» basierte, «sondern auf kollektiver Unwissenheit», immerhin um 2 , 5  Prozent. Das Portfolio des Chefredakteurs von
Capital
hingegen fiel in derselben Zeit um eindrucksvolle 18 , 5  Prozent. Und damit nicht genug: «Unser Portfolio erzielte auch bessere Gewinne als 88  Prozent aller eingereichten Aktienpakete und schnitt besser ab als verschiedene
Capital
-Indizes.» Von wegen Insidertips! Zum Vergleich hatte Gigerenzer noch ein zweites Portfolio eingerichtet und es mit jenen Aktien bestückt, die von den ahnungslosen Passanten am seltensten wiedererkannt worden waren. Es lag gleichauf mit jenem des
Capital
-Chefredakteurs, eines Mannes also, «der mehr wusste als alle hundert Passanten zusammen».
    Ein anderer Versuch Gigerenzers erbrachte ein ebenso eindeutiges Ergebnis. In dessen Rahmen fragte er amerikanische und deutsche Studenten: «Welche Stadt hat mehr Einwohner, Detroit oder Milwaukee?» [19] Das Ergebnis: Nur zwei Drittel der amerikanischen, aber alle deutschen Studenten gaben die richtige Antwort (die übrigens – wie lautet?). Wieder spielte die «Hab ich schon mal gehört, nehm ich»-Regel eine entscheidende Rolle. Und begünstigte die deutschen Studenten: Die kannten zwar Detroit, von Milwaukee hatten sie aber noch nie etwas gehört. Aus diesem simplen Umstand schlossen sie haarscharf (und richtig), daß erstere die bevölkerungsreichere Stadt sein müsse. Den amerikanischen Studenten hingegen wurde ihr (partielles) Wissen zum Verhängnis: Viele von ihnen kannten beide Städte. Und schon war es um ihr Entscheidungsvermögen geschehen. Damit diese mächtige Regel nicht
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