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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig
Autoren: Christian Ankowitsch
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Moment, da man ihnen sagte, in der Lösung sei ein Schmerzmittel enthalten, habe es seine volle Wirkung entfaltet. Das bedeutet: Unsere Annahmen und Regeln spielen in medizinischen Angelegenheiten prinzipiell eine wichtige Rolle. So sind es also
doch
unsere simplen Welterklärungsmodelle, die alles steuern. Wir müssen bloß davon ausgehen, daß etwas hilft – dann hilft es auch.

Einfache Regeln sind sehr hilfreich, haben aber nicht nur Vorteile. Immer wieder geraten sie in Konflikt mit den komplexen Strukturen unserer Umwelt.
    Unsere Fähigkeiten, Komplexes zu reduzieren, simple Regeln zu formulieren und uns selbst als autonome Subjekte zu definieren, haben also das Ziel, uns unbeschadet durchs Leben zu bringen. Da liegt die Frage nahe: Tun sie das auch wirklich? Ein auf den ersten Blick sinnloser Einwand. Daß ich hier sitze und einen solchen (sinnlosen?) Satz formulieren kann und Sie da sitzen und diesen (sinnlosen?) Satz lesen können, verstehen und im Kopf bewegen, um ihn schließlich für sinnlos zu halten bzw. gar nicht
so
sinnlos – all das sollte Antwort genug sein. Ganz offensichtlich haben wir uns mit unseren Patentrezepten erfolgreich bis an diesen Lebenspunkt manövriert. Sie können so falsch nicht sein. Und doch erscheinen Zweifel angebracht. Leistet die eigene Weltsicht wirklich die besten Dienste? Sollen wir uns ganz auf unseren Hang zur Schematisierung verlassen?
    Es gibt Gründe, darüber nachzudenken. Um mit dem fundamentalsten zu beginnen: Allein die Tatsache, daß wir erfolgreich bis zum heutigen Tag über- bzw. gelebt haben, ist
nicht
dazu geeignet, die These zu belegen. Wir könnten auch aus ganz anderen Gründen so weit gekommen sein – aus Gründen, von denen wir nichts ahnen und die dennoch von entscheidender Bedeutung waren (und sind). Das gilt übrigens ganz prinzipiell für alle unsere Beweisführungen. Nassim Taleb hat auf polemisch-unterhaltsame Weise gezeigt, daß die Ursachen, die wir für unsere Erfolge nennen, im besten Fall halb zutreffen, wenn sie nicht überhaupt vollkommen danebenliegen. [33] So spiele die «Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse» oft eine viel entscheidendere Rolle, als wir aufgrund unseres Selbstbildes wahrhaben wollten.
    Der zweite Grund, an unseren Annahmen und Regeln zu zweifeln: Wir sind immer mittendrin im Geschehen. Das kann sehr schön sein, wenn dieses Geschehen beglückend ist. Einer objektiven Beschreibung aber ist das abträglich. Denn um Systeme wirklich erfassen zu können, müssen wir uns außerhalb von ihnen befinden. Und das läßt sich bei der Frage, wie wir zur eigenen Person und zur Welt stehen, aus einem naheliegenden Umstand nicht realisieren: Wir stecken selbst mit drin – in unserem Körper, in unserem Kopf, in unserer Familie, in unserer Gesellschaft. Daß wir stets Teil des Ganzen sind, fällt uns nur selten auf, da wir ein großes Talent dafür entwickelt haben, dieses Involviertsein zu ignorieren und unsere Umwelt zu betrachten, als hätten wir mit deren Zustand nichts zu tun. Am einfachsten läßt sich das auf verstopften Autobahnen beobachten: In jedem einzelnen Auto sitzt ein Fahrer, der sich lautstark darüber beklagt, daß so viele Leute unterwegs sind und den Verkehr zum Erlahmen bringen. Und übersieht dabei, daß er Teil des Problems ist. Ein
kleiner
Teil des Problems, das zweifellos, aber wie wir schon in der Schule gelernt haben, ergeben viele kleine Problemteile in der Summe einen sieben Kilometer langen Stau, an dem wir unseren Anteil haben. Wenn wir jetzt noch an jene Untersuchungen denken, die eindrucksvoll gezeigt haben, daß ein einziger Autofahrer durch ein unbedachtes Bremsmanöver einen Stau aus dem Nichts auslösen kann – dann, ja, dann müßten wir zumindest eine Ahnung davon bekommen, daß wir enger mit unserer Umwelt verbunden sind, als es unser autonomes Ich wahrhaben will.
    Weil wir also immer irgendwie beteiligt sind, können wir unsere Welt (und uns selbst) nur ausschnitthaft erkennen und beschreiben. Das wird sich auch nicht ändern, bis ein Weg gefunden ist, wie man gleichzeitig drinnen
und
draußen sein kann. Doch halt! Einigen Menschen ist es gelungen, zumindest das System «Erde» für kurze Zeit von außen zu betrachten: den Astronauten, die auf dem Mond gelandet sind. Und tatsächlich hat das ihre Sicht der Dinge radikal verändert. Der Journalist Alex Rühle hat das in einem kurzen Text sehr schön beschrieben. Er beginnt mit den Sätzen: «Das Wichtige, das Bleibende war nicht
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