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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig
Autoren: Christian Ankowitsch
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der Ausflug auf den Mond. Das Wichtige an den Apollo-Missionen war der Blick zurück: Dank der Bilder, die die amerikanischen Astronauten aus dem Weltall mitbrachten, konnte sich die Erde zum ersten Mal wie in einem Spiegel selber sehen, in ihrem wahren astronomischen Zustand.» [34] Und was sah sie da, die Erde? Nichts Heroisches, ganz im Gegenteil. Einen kleinen, blauen Planeten im leeren Weltraum. Rühle zitiert das Buch von Günther Anders, das den Titel «Der Blick vom Mond» trägt; es ist bereits 1970 erschienen, und darin denkt der Philosoph über das Paradox nach, «dass wir justament im Moment unseres größten technischen Triumphes so eindrücklich wie nie zuvor unsere unendliche Winzigkeit erfahren haben». Ein Phänomen, das die Tendenz unseres Gehirns, die Dinge auf den einfachsten Nenner zu reduzieren, ein weiteres Mal höchst plausibel erscheinen läßt. Wenn nämlich unsere Fähigkeit, uns und unsere Welt von außen zu sehen, solch schreckliche Auswirkungen hat, dann kann ein auf Selbsterhaltung programmiertes System wie unser Gehirn
kein
Interesse daran haben, daß wir klüger werden, als wir es die meiste Zeit unseres Lebens sind. Überspitzt formuliert: Wir Menschen haben einen Selbstverblödungsautomatismus eingebaut, der uns davor bewahren soll, aufgrund unserer realistischen Selbsteinschätzungen lebensüberdrüssig zu werden. Es muß daher wenigen Menschen vorbehalten bleiben, das wahre Ausmaß unserer Winzigkeit zu erkennen, weil wir andernfalls alle traurig zu Hause in unseren Betten liegen bleiben und uns fragen würden, wozu aufstehen. Davor schützt uns – Gott sei Dank! – unser angeborener Hang zur Vereinfachung und zur Selbstüberschätzung.
    Was uns zum nächsten Grund führt, warum unsere Weltaneignungsstrategien nicht so perfekt sein können, wie wir glauben: Wie wir gesehen haben, entsprechen sie definitiv
nicht
der objektiven Wahrheit. Sie sind nicht nur Meisterwerke der Vereinfachung, sondern zudem mit individuellen Interpretationen und Bewertungen vermengt. Daher könne man von unserem Welt-Modell auch «nicht die Beschaffenheit der bewusstseinsunabhängigen Welt erschließen, weil das, was ‹von draußen› kommt, von dem, was das konstruktive Gehirn ‹hinzutut›, nicht verlässlich unterschieden werden kann» [35] , wie Gerhard Roth schreibt. Wir sollten uns diesen Umstand immer wieder ins Gedächtnis rufen, vor allem bei Debatten, in denen Sätze vorkommen wie: «Um das ein für allemal klarzustellen!» oder «An diesen Fakten gibt es nichts zu rütteln!» Doch, es gibt
immer
etwas zu rütteln. An der subjektiven Überzeugung etwa, genau Bescheid zu wissen, was da draußen vorgeht. Daß wir dennoch unverbrüchlich an ihr festhalten, liegt an der Verläßlichkeit, mit der das Gehirn uns mit Bildern von der Welt versorgt. Daher «halten wir sie fälschlich für Zustände der bewusstseinsunabhängigen Welt» [36] .
    Weil wir uns ein subjektiv-simples Bild machen, entgeht uns auch die Komplexität jener Verhältnisse, durch die wir uns da bewegen. So braucht es schon viel Statistik und den analytischen Blick eines Wissenschaftlers wie Dirk Helbing, um zum Beispiel beim Betrachten einer Fußgängerzone voll herumwuselnder Menschen mehr zu entdecken als eine Fußgängerzone voll herumwuselnder Menschen – nämlich ein riesiges Beziehungswerk, in das wir einerseits eingebunden sind und das wir zugleich beeinflussen (wie wir im Kapitel «Verführerische Störungen» sehen werden).
    Folgen wir dem Sozialwissenschaftler Herbert A. Simon, dann entspricht die Einfachheit unserer Annahmen und Regeln dem Umstand, daß wir genau so gebaut sind: «Ein Mensch, betrachtet als System mit bestimmtem Verhalten, ist recht einfach.» Das, was wir als unsere Vielschichtigkeit wahrnehmen, also die «scheinbare Komplexität» unseres «Verhaltens in der Zeit», spiegele «weitgehend die Komplexität der Umgebung wider» [37] , in der wir uns befinden. In unserer strukturellen Einfachheit seien wir übrigens, schreibt Gigerenzer, den Ameisen nicht unähnlich; auch deren Komplexität sei weniger Ausdruck eines ebensolchen Geistes, sondern vielmehr ihrer Umgebung. [38]
    Es wird Gegenstand des fünften Kapitels sein, uns genauer mit jenen «paradoxen Verhältnissen» zu beschäftigen, die uns umgeben (an dieser Stelle muß der Hinweis genügen, daß jene Regeln, die unser aller Leben von außen organisieren, recht kompliziert sind, auf vielfache Weise auf uns zurückwirken; ganz so, wie wir auf
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