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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig
Autoren: Christian Ankowitsch
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sie
nicht tat
. Nämlich von Dingen reden, die für sie keine Relevanz hatten (für alle anderen hingegen schon). Der Spruch lautete: «Alle reden vom Wetter. Wir nicht.» Wir werden uns das Thema im Kapitel «Hilfreiche Neins» noch genauer ansehen. Bedienen Sie sich also in der großen Weltbibliothek der Regelverletzer und suchen Sie sich eine passende Strategie aus, um die Aufmerksamkeit der anderen zu gewinnen. Was Sie damit anfangen – das ist freilich eine andere Frage.
    Rechnen Sie mit der Ambivalenz Ihrer Regelverletzungen: Wenn wir gegen einfache Regeln verstoßen, tun wir mehr, als wir ahnen und uns mitunter lieb ist. Wer nämlich Regeln bricht, löst damit bei den anderen (und sich selbst) oft gemischte Gefühle aus. Denn einerseits kann es erleichternd sein, wenn endlich einmal jemand gegen bestimmte Regeln verstößt, vor allem, wenn alle sie als belastend oder gar autoritär-antidemokratisch empfinden. Andererseits haben Regelverletzungen auch etwas Beängstigendes: Regeln haben ja die Eigenschaft, verläßlich zu sein, weshalb sie uns das Gefühl der Sicherheit vermitteln. Sie werden also mit Ihren Regelverletzungen entweder Freude oder Ablehnung auslösen, in den meisten Fällen beide Gefühle gleichzeitig. So erklärt sich übrigens auch der ambivalente Ausdruck auf den Gesichtern all jener Menschen, die Sie eben jetzt mustern, da Sie bei einem großen, feierlichen Abendessen mit den Fingern essen. Es hängt vom Kontext, der Gruppendynamik und dem persönlichen Hintergrund jedes einzelnen ab, ob man Sie rauswirft, über Sie lacht oder geflissentlich ignoriert. An Sie erinnern aber – das wird man sich. Wenn darin das Ziel Ihrer Aktion bestanden hat: Gratulation!
    Doch diese gemischten Gefühle müssen uns nicht unbedingt bekümmern. Viel wichtiger ist ein anderer Aspekt unserer Regelverletzungen. Wer gegen Richtlinien verstößt, erreicht damit, daß die Menschen überhaupt erst von deren Existenz erfahren. Wer also zu einem feierlichen Essen in abgerissenen Jeans erscheint und dann mit den Fingern ißt, der macht den anderen bewußt, daß es Benimmregeln gibt. Das dürften sie gewußt haben, dennoch läuft die Sache darauf hinaus, daß wir diese Regeln beglaubigen, indem wir gegen sie verstoßen. Genau so ist die gerne mißverstandene Redewendung «Ausnahmen bestätigen die Regel» gemeint: Sie verweist darauf, daß erst eine Ausnahme die Existenz eines Regelwerks belegt; Regeln ohne Ausnahmen hingegen können wir als solche nicht erkennen, weil ihnen gleichsam das Kontrastmittel fehlt. Solange Sie also mit Ihrer Regelverletzung genau das erreichen wollten, ist alles in Ordnung. Haben Sie hingegen vor, eine Regel aus der Welt zu schaffen, die Sie für spießig, überflüssig oder lästig halten, dann sollten Sie nicht gegen sie verstoßen, sondern einen großen Bogen um sie machen. Indem Sie zum Beispiel aus dem betreffenden Bezugssystem ganz aussteigen. Wer diese Regel fortgeschrittenen Regelverletzens verletzt, findet sich daher mitunter in der Rolle des Regel-Bewahrers wieder, also in einer Funktion, der seine Ablehnung gilt.
    Würdigen Sie, daß Regelverletzer dazu beitragen, daß noch irgend etwas funktioniert. Mal angenommen, Sie sitzen im Auto und schleichen damit die Autobahn entlang. Dichter Verkehr, sehr dichter Verkehr. Plötzlich überholt Sie rechts, auf dem Pannenstreifen, ein anderes Auto, und das auch noch mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit. Bevor Sie nun losbrüllen: «Unverschämtheit – was bildet der sich ein!», sollten Sie kurz innehalten. Und dem rücksichtslosen Autofahrer danken. Ja, danken! Denn es sind mitunter genau jene rücksichtslosen Verkehrsrowdys, die den drohenden Megastau verhindern und dadurch garantieren, daß Sie doch noch nach Hause kommen. Exakt diesen Schluß legt die Untersuchung von fünf Physikern der Umeå-Universität in Schweden nahe. [60] Sie haben in einer Computersimulation zweierlei herausgefunden. Daß es Situationen gibt, in denen eine «zu strikte Befolgung der Verkehrsregeln zu einem gigantischen Verkehrsstau führen kann». Und daß sich diese Staus verhindern lassen, «wenn es einige Leute gibt, die die Verkehrsregeln ignorieren». Die Wissenschaftler haben ihre Behauptung mit jeder Menge Diagrammen belegt, die derart komplex aussehen, daß sie einfach stimmen müssen. Abschließend schreiben sie: Die Ergebnisse ihrer Studie «implizieren, daß eine bestimmte Menge an Regelverletzern die Neigung zu Verkehrsstaus verringern, weil
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