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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig
Autoren: Christian Ankowitsch
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sie das Risiko verkleinern, daß zu hohe lokale Verkehrskonzentrationen entstehen». Die Betonung liegt auf «eine bestimmte Menge an Regelverletzern». Sollte also der Rowdy, der Sie eben rechts überholt hat, keine weiteren Nachahmer finden, spricht nichts dagegen, daß Sie ihm hinterherrasen. Um bei einer etwaigen Polizeikontrolle nicht den kürzeren zu ziehen, sollten Sie einen der fünf schwedischen Physiker dabeihaben, um plausibel machen zu können, welchem höheren Zweck Ihre Regelverletzung dient.
    Achten Sie die Konformisten! Und unterstützen Sie sie gegebenenfalls: Regelverletzer brauchen Regeln, um gegen sie verstoßen zu können. Eine im ersten Moment einfach anmutende Aussage. Sie gewinnt schlagartig an Brisanz, wenn wir sie ein wenig genauer betrachten. Dann muß uns nämlich klarwerden, daß wir untrennbar mit jenen Regeln verbunden sind, gegen die wir verstoßen wollen, um unsere Ziele zu erreichen. Und dieses innige Verhältnis zu den Regeln sollten wir respektieren – sowie den Umstand, daß wir existentiell auf jene Menschen angewiesen sind, die diese einfachen Regeln pflegen und schützen. Sie sorgen nämlich dafür, daß wir unser paradoxes Spielchen überhaupt treiben können. Oft jedoch genießen die Hüter der einfachen Regeln den Ruf, Apologeten des Mainstreams oder dumbe Konformisten zu sein. Diese Haltung erscheint mir unangemessen. Vielmehr muß jedem Regelverletzer daran gelegen sein, daß es viele Konformisten gibt. Daß also möglichst viele Menschen den Mainstream verteidigen.
    Es ist doch so: In dem Moment, in dem die Konformisten ihren Job vernachlässigen, zerbröselt das Geschäftsmodell von uns Regelverletzern. Umgekehrt freilich sind auch die Hüter der Regeln existentiell auf den Regelverletzer angewiesen. Schließlich sind es erst die Ausnahmen bzw. Verletzungen der Regel, die uns ihre Existenz bewußtmachen bzw. ihre Gültigkeit beglaubigen. Daraus ergibt sich eine wunderbare Kreisbewegung, die wir im Kapitel über die «paradoxen Verhältnisse» kennenlernen werden. Für Hochmut jedenfalls ist in diesem Spiel kein Platz (wenn er auch zum Geschäftsmodell der Regelverletzer gehört): Wer sich also mit provokativer Kunst profilieren will, der ist sehr gut beraten, all jene Menschen zu achten, die ihn in ihrem Konformismus zum Glänzen bringen, also Hirsche im Sonnenuntergang malen, anstatt dieselben Hirsche in Formalin einzulegen und auszustellen. Ebenso wie der Konformist und Hirsch-im-Sonnenuntergang-Maler seinen Spaß dran haben sollte, daß der Avantgardist seine (spießigen) Regeln beglaubigt. Aus dem Gleichgewicht gerät die ganze schöne Kreisbewegung freilich, wenn eine der beiden Gruppen die Oberhand gewinnt. Und manchmal sieht es beinahe so aus. Wenn wir nämlich die Medienberichte über das Internet verfolgen, so können wir bisweilen den Eindruck gewinnen, daß die Regelverletzung zur Normalität geworden ist und die Befolgung der einfachen Regel zur Ausnahme.
    Doch keine Angst: Wenn diese Analyse stimmen sollte, wir also mit der klassischen Regelverletzung niemanden mehr aufmerksam machen können auf uns – die Mechanik bleibt davon unberührt. Wir müssen dann nur unsere Wahrnehmung justieren. Also die Regelverletzung als die neue einfache Regel betrachten und die Befolgung der einfachen Regel als die neue Regelverletzung. Klingt ein wenig kompliziert – aber hat irgend jemand behauptet, die Kunst der paradoxen Lebensführung sei ein Kinderspiel? Eben. Wer Regeln verletzen will, der ist gut beraten, sie sehr gut zu kennen. Je besser, desto geschickter werden wir darin sein, sie zu verletzen. Wer hingegen glaubt, es genüge, sich «irgendwie» anders als die anderen zu benehmen, der wird vielleicht kurzfristig erfolgreich damit sein, weil ihn alle beachten – aber er wird wahrscheinlich von den Mechanismen, deren er sich da unwissentlich bedient hat, beschädigt oder sogar verschlungen werden. So wird beispielsweise jeder, der mit den Regeln der medialen Öffentlichkeit nicht vertraut ist und dennoch Geheimnisse über seinen Job ausplaudert, zwar breite Beachtung finden, sich gleichzeitig aber so nachhaltig beschädigen, daß er alles verlieren wird.
    Eine möglichst gute Kenntnis jener Regeln, die Sie verletzen wollen, hat noch einen weiteren Vorteil: Sie können gegebenenfalls die Seiten wechseln – also zum Hüter jener Regeln werden, die Sie eben noch verletzt haben. Es wäre nicht das erste Mal, daß so etwas geschieht. So konnten wir verfolgen,
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