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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig
Autoren: Christian Ankowitsch
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allzu simpel erscheint, hat sie auch einen klingenden Namen erhalten: Rekognitionsheuristik. Womit Sie dafür gerüstet sein müßten, den Begriff beim nächsten Mal zumindest wiederzuerkennen.
    Es würde zu weit führen, all die hilfreichen und mächtigen Regeln aufzuzählen, die wir gebildet haben, um unsere komplexe Welt zu verstehen und zu steuern. Daher muß ein Hinweis auf die Arbeiten Gerd Gigerenzers genügen, dessen Bücher immer wieder auf den Bestenlisten auftauchen und vielfach zitiert werden. Das unterscheidet ihn nicht nur von unzähligen anderen Psychologen seines Fachgebiets, sondern reicht auch vollkommen aus, die Legitimität meiner Vorliebe für Gigerenzer zu begründen. Hintergrund dieser These ist eine weitere einfache Regel, die uns schnelle und effektive Entscheidungen fällen läßt. Sie heißt «Take-the-Best-Regel» [20] und besagt, daß wir lange Entscheidungswege erfolgreich abkürzen können, indem wir nach
einem
Qualitätsmerkmal suchen, das eine Person oder ein Objekt von anderen unterscheidet, gleichzeitig aber alle weiteren ignorieren. Und genau so verfahren wir täglich von neuem: Wir suchen uns den erstbesten Hinweis auf den Qualitätsunterschied zwischen zwei Optionen und treffen auf dieser Basis unsere – meist richtigen – Entscheidungen. «Zahlreiche psychologische Experimente lassen darauf schließen», schreibt Gigerenzer, «dass sich Menschen bei ihren intuitiven Urteilen oft auf einen einzigen guten Grund verlassen.» [21] Und zwar zu Recht.
    Wer nun einwendet, solche Regeln mögen privaten, aber keinesfalls professionellen Entscheidungen zugrunde liegen, der irrt. So hat die Psychologin Susanna Niehaus gezeigt, daß in der «deutschsprachigen Vernehmungsliteratur» bis heute zu lesen ist, daß Lügner an ihrem Mienenspiel zu erkennen seien. [22] Salopp gesagt: daß die Polizei davon ausgeht, den Bösen an der sprichwörtlichen Nasenspitze zu erkennen. Diese simple Regel hat auch tatsächlich viel für sich. Das einzige, was man dafür lernen muß, ist die Sprache der Mimik, wie das die US -amerikanische TV -Serie «Lie to me» so wunderbar vorführt, in der die Hauptfigur Dr. Cal Lightman Mörder allein dadurch überführt, daß sie im falschen Moment die Lippen aufeinanderpressen oder sich am Ohrläppchen ziehen. Die Sache hat nur einen Schönheitsfehler: Sie ist weitgehend Fiktion. Aber von der Kehrseite unserer simplen Regeln weiter unten mehr.

Wir sind überzeugt, daß die Welt nach dem Ursache-Wirkung-Prinzip funktioniert: Wir müssen nur das eine tun, um das andere zu erreichen. Und tatsächlich funktioniert das auch immer wieder.
    Wir konstruieren also einfache Annahmen, wie die Welt funktioniert und welche Beziehung wir zu ihr haben. Auf der einen Seite sehen wir unser Ich, auf der anderen Seite alles andere (und die anderen). Zur Welt haben wir ein klares Ursache-Wirkung-Verhältnis: Wenn wir das eine tun, geschieht das andere. Wir glauben also, daß wir – wollen wir etwas Bestimmtes erreichen – vorgehen müssen wie beim Kaffeekochen: Automat ansteuern, Kaffeebohnen rein, Wasser nachfüllen, Taste drücken, Tasse drunterstellen, erledigt. Den Weg zu unserem Ziel sehen wir als eine Kette logisch aufeinander bezogener Schritte. Mag sein, daß wir Rückschläge erleiden, Umwege gehen, Schritte wiederholen – an unserer Überzeugung, nur auf diese Weise voranzukommen, ändert das nichts. Wie tief sie in unseren Köpfen verwurzelt ist, zeigt sich in der herrschenden Lebenseinstellung, die sich in dem wenig originellen, dafür aber um so zutreffenderen Glaubenssatz verdichten läßt: «Du schaffst, was du willst – du mußt es nur wollen!»
    Suchen wir nach dem Idealtypus dieses Modells, landen wir bei den Führungspersönlichkeiten. Die stehen nämlich nicht nur aufgrund ihres Talents an der Spitze großer, komplexer Gebilde. Sie stehen dort auch aus der allgemeinen Überzeugung, diese riesengroßen Kaffeeautomaten seien nur durch ein besonders starkes Ich an ihrer Spitze zu bedienen. Wie selbstverständlich uns dieses Bild in Fleisch und Blut übergegangen ist, zeigen Momente, in denen es zu überraschenden Wechseln an der Spitze multinationaler Konzerne kommt. Dann ist von «Führungslosigkeit» die Rede, als würden diese gigantischen Apparate tatsächlich keine Minute ohne ein starkes Ich an der Spitze auskommen.
    Daß wir mit unserer Überzeugung, die Welt bloß mit Hilfe unserer persönlichen Fähigkeiten und Regeln gestalten zu können, immer
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