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Machen Sie sich frei Herr Doktor!

Machen Sie sich frei Herr Doktor!

Titel: Machen Sie sich frei Herr Doktor!
Autoren: Richard Gordon
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geographische Lage des Hauses ihn zu einem bequemen Opfer für jedes Spitalsmitglied machte, das etwas auf dem Herzen hatte.
    Die Treppe führte zu einem kleinen Vorraum, von dem aus man das Wohnzimmer betrat. Es war ein gemütlicher Raum mit einem Erkerfenster, bequemen und leicht abgenützten Möbeln, Bücherregalen und einer Vitrine, wo die Pokale standen, die der Dean als Student gewonnen hatte. Kaplan Osbert Nosworthy unterzog soeben ein Bild von St. Swithin im 18. Jahrhundert - angeblich von Canaletto - einer kurzsichtigen Prüfung.
    »Guten Morgen, Padre«, begann der Dean mit gespielter Munterkeit. »Herrlicher Tag, nicht wahr? Der Juli kann oft so enttäuschend sein. Nichts als Regen und Hagel, die der Ernte und so weiter schaden. Sie sehen gut aus. Wirklich sehr gut. Hoffentlich keinerlei Beschwerden? Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
    Etwas an dem Kaplan, einem älteren beleibten kinnlosen Herrn mit einem unordentlichen weißen Haarkranz um das rosige Haupt, schien dem Dean ungewöhnlich. Wenn der Kaplan in St. Swithin die Geschäfte Gottes besorgte, trug er gewöhnlich einen gelblichen Stehkragen, eine schwarze Halsbinde, die Erinnerungen an ungezählte Suppen aufwies, und einen grauen Fischgrätenanzug, den der Dean schon oft als gesundheitsgefährdend hatte verheizen wollen. Heute abend trug der Kaplan ein kariertes Hemd,
    eine rot-goldene Krawatte, eine alte Tweedjacke und graue Flanellhosen, wie sie vor zwanzig Jahren modern gewesen waren. In der Hand hielt er einen Strohhut.
    »Ach, Sir Lionel«, begrüßte ihn der Kaplan herzlich. »Ich fürchte, ich habe Sie bei der Morgentoilette gestört. Bitte tausendmal um Vergebung.«
    »Macht nichts. Obwohl man um diese Tageszeit natürlich immer in Eile ist. Leider habe ich nur einen Augenblick Zeit.«
    »Ich wollte mich unbedingt noch von Ihnen verabschieden.«
    »Sehr freundlich von Ihnen.« Der Dean streckte die Hand aus. »Also... Auf Wiedersehen.«
    »Ich versuchte Sie die ganze Zeit im Spital zu erwischen. Seit Wochen schon, wenn nicht Monaten. Ich glaube, ich hatte nicht einmal das Vergnügen, Ihnen zu Ihrer Erhebung in den Adelsstand zu gratulieren. Sooft ich in Ihr Büro kam, hörte ich von Ihrer Sekretärin, Sie wären in einer Komiteesitzung, Sie hätten ein Konsilium oder seien eben ausgegangen.«
    »Tatsächlich?« Der Dean preßte ungeduldig die Fingerspitzen zusammen. Noch immer wußte er nicht, warum der Kaplan auf einmal beschlossen hatte, ihn aufzusuchen. Nosworthy war schon Kaplan von St. Swithin gewesen, als der Dean noch Medizin studierte - er sah damals ebenso alt aus wie heute und trug, soweit der Dean sich erinnern konnte, denselben grauen Anzug. Doch abgesehen von »Fröhliche Weihnachten« hatte Sir Lionel kaum jemals ein Wort mit ihm gewechselt. Eigentlich wußte er gar
    nicht, was ein Geistlicher in einem Krankenhaus zu suchen hatte. Vermutlich verbrachte der Kerl seine Zeit damit, die Schwerkranken zu erheitern und darauf zu achten, daß die Spitalsbibliothek die entliehenen Bücher zurückerhielt. »Es war sehr freundlich von Ihnen, mich zu besuchen.« Der Dean öffnete die Tür des Wohnzimmers.
    Kaplan Nosworthy machte jedoch keine Anstalten zu gehen. »Ich versichere Ihnen, daß ich gern zu einer passenderen Stunde gekommen wäre, aber mein Zug geht ziemlich früh.« Der Dean nickte vage in Richtung des Fensters, durch das die Morgensonne ins Zimmer strahlte. »Sie haben gutes Reisewetter.«
    Plötzlich sah der Kaplan ganz unglücklich drein. »Das macht mir den Abschied noch schwerer.«
    »Wirklich? Ich wäre glücklich, jetzt Ferien machen zu können. Dieses Jahr wird für mich kaum mehr herausschauen als ein, zwei Tage im November. Mit dieser nicht enden wollenden Arbeit an dem neuen Gebäude. Und natürlich die Königin.«
    »Ich fürchte, Sie mißverstehen mich. Ich gehe endgültig. Ich trete in den Ruhestand.«
    »Mein lieber Padre -« Der Dean schüttelte ihm kräftig die Hand. Jetzt, wo nicht mehr die Gefahr bestand, den Mann jemals wiederzusehen, war er von geradezu überströmender Herzlichkeit. »Das Spital wird nicht mehr das sein, was es war.«
    »Ich habe in einer Pension an der Peripherie von Whitstable ein Zimmer gemietet. Dort werde ich wohl meine restlichen Tage verbringen.« — »Sie gehen, lieber Kaplan, und die Königin kommt.«
    Der Kaplan schüttelte den Kopf. »Es ist sehr traurig. Ich hatte gehofft, noch ein paar Wochen bleiben zu können, um das große Ereignis mitzuerleben. Doch mein Bischof war
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