Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Machen Sie sich frei Herr Doktor!

Machen Sie sich frei Herr Doktor!

Titel: Machen Sie sich frei Herr Doktor!
Autoren: Richard Gordon
Vom Netzwerk:
gesungen, Lancelot?«
    »Der Ball von Kirriemuir.«
    Um den Mund des Deans lag nicht mehr der gewohnte Zug mürrischer Redlichkeit; der Gesichtsausdruck eines Mannes, der von den Menschen, der Natur und dem Schicksal gleichermaßen gequält wird, war verschwunden. Statt dessen starrte er mit Pickwickscher Freundlichkeit durch seine große runde Brille. Das Rugger-Dinner war nach alter Tradition im Privatraum eines Restaurants in Soho abgehalten worden, den die Gesellschaft soeben lärmend verlassen hatte. »Sehr vernünftig, daß du zum Aufbruch geblasen hast, Lancelot; erstaunlich, welche Biermengen die jungen Leute konsumiert haben.«
    »Wenn Menschen zu singen beginnen, sind sie entweder betrunken oder haben genug voneinander. Übrigens ist mir nicht aufgefallen, daß du dich beim Alkoholkonsum sehr zurückhieltest.«
    »Zufälligerweise vertrage ich jede Menge Alkohol«, sagte der Dean würdevoll, »seit eh und je.« Er blieb stehen und wies auf eine hell erleuchtete Auslage. »Diese drei Mädchen dort auf dem Titelbild der Zeitschrift - was glaubst du, haben die vor?«
    »Was sie tun wollen, weiß ich nicht genau, aber jedenfalls ist es anatomisch unmöglich.«
    »Vermutlich Pornographie?« meinte der Dean, der noch immer gierig auf die Zeitschrift starrte.
    »Pornographie ist ein hoffnungslos unpräziser Terminus, Dean. Sie ist völlig abhängig von dem persönlichen Standard eines Individuums. Genau wie Konstipation.«
    »Da ist etwas Merkwürdiges - strenge deutsche Gouvernante sucht interessante Stellung. Ich dachte, diese Art Posten gäbe es in der modernen englischen Gesellschaft nicht mehr? In welchen Theaterklub gehen wir jetzt?« fragte er, als Sir Lancelot ihn fortzog. »Ich nehme an, eine intime Revue?«
    »Sehr intim.«
    »Wissen die Jungen, wo sie ist?«
    »Darüber besteht kein Zweifel.«
    Sie schlenderten durch die hell beleuchteten Straßen Sohos, in denen künstliches Licht stets natürlicher wirkt als Tageslicht. »Eine erstaunliche Gegend«, fuhr Sir Lancelot fort. »Mitten im grauen griesgrämigen London ein Stückchen von der ganzen Welt. Jede Atmosphäre von Paris bis Peking. Und jeder Appetit wird in einer erstaunlichen Vielzahl von Variationen befriedigt. Zu erstaunlich bescheidenen Preisen.«
    »Ich kenne nur die Halsklinik am Golden Square«, sagte der Dean. Er bemerkte seinen neuen Assistenten im besten Sonntagsanzug neben sich. Er war ein blasser, ernst aussehender junger Mann mit einem großen Kopf und einer Brille, die immer etwas schief zu sitzen schien. »Ach, Undercroft«, sagte er freundlich, »wissen Sie vielleicht eine witzige Geschichte?«
    »Ja, Sir.«
    »Vortrefflich. Schießen Sie los.«
    »Nun, da gab es einen Patienten mit einem Glasauge.«
    »Weiter«, sagte der Dean aufmunternd, während sie Old Crompton Street überquerten.
    »Er schluckte es, Sir. Er ging zum Arzt, und dieser entschloß sich nach Prüfung der Symptome zu einer Rektoskopie.«
    »Ich verstehe, und?«
    »Und als der Arzt den Spiegel richtig eingeführt hatte, fragte der Patient: >Können Sie etwas sehen, Doktor?< >Nein<, erwiderte der Arzt. >Das ist komisch<, sagte der Patient, >denn ich kann Sie sehen<.«
    Der Dean lachte laut und hörte plötzlich wieder auf. »Nein, für den Anlaß, an den ich denke, ist das gänzlich ungeeignet.« Er sah sich um. »Hier scheinen sehr viele Modelle zu leben. Muß das fotografische Zentrum Englands sein.«
    Die beiden Ärzte folgten den jungen Männern in eine schmale, von Backsteinmauern gesäumte Allee, die zu einem kleinen Platz führte. Straßenkehrer räumten die Reste des täglichen Marktes zur Seite. Über zerdrückte Tomaten und verfaulten Salat ging der Dean auf eine beleuchtete Tür zu. Plötzlich stand er in der Dunkelheit eines heißen, raucherfüllten und ungewöhnlich kleinen Theaters und blinzelte auf eine schwach beleuchtete Bühne von der Größe seines Frühstückstisches, auf der ein beleibtes Mädchen in einem Kleid aus dem 19. Jahrhundert einen Sonnenschirm herum wirbelte. Dazu sang sie: »Daddy wouldn’t buy me a Bow-Wow.«
    »Altes Musiktheater«, sagte der Dean lächelnd zu Sir Lancelot. »Ganz reizend. Hübsche Stimme.« Er runzelte die Stirn. »Sie öffnet ja gar nicht den Mund. Muß eine Bauchrednerin sein. Sehr geschickt.«
    »Der Gesang kommt von einem Tonband, du Esel.«
    »Tatsächlich? Wie erstaunlich kompliziert.«
    Der Rhythmus wechselte zu einem Kalypso. Das Mädchen schloß den Sonnenschirm und begann sich auszuziehen.
    Der Dean
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher