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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman
Autoren: Martin Smaus
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dem Kleinen ins Tal gegangen war, und wiegten besorgt die Köpfe. Viel Glück,
bachťoraha sasťipnoreha dža, av pale
, mümmelten sie mit zahnlosem Mund, komm gesund zurück   …
     
    Am Nachmittag saß Andrejko bereits neben Fero in der ersten Klasse des Nachtschnellzugs nach Prag. Unerbittlich hämmerten die Räder ihren Rhythmus auf die Schienen, und Andrejko war, als schlüge das unruhige Herz seiner Mama irgendwo in der Nähe, als galoppierte der Hengst von Onkel Laco über eine weite ausgedörrte Ebene   … Unter den hohen Laternen der Bahnhöfe schwärmten Mücken, Betrunkene torkelten über die Bahnsteige, der Zug hielt immer wieder an und fuhr erneut los, und Andrejko, berauscht von der heißen Sommernacht, sog mit weit aufgerissenen Augen die Stimmen und Düfte in sich auf, die ihm aus der Dunkelheit entgegenströmten. Alles, was er kannte, blieb zurück: einsame Lichter in der Ferne, flimmernde Glühwürmchen, krächzende Frösche und zirpende Grillen, das alles war weg, aber vor ihm wartete schon mit offenen Armen die Welt, die noch |15| heute Morgen bei der letzten Hütte aus Weidenruten, Lehm, Holzplanken und rostigem Blech zu Ende war.
    Um dem Kleinen mit gutem Beispiel voranzugehen, blieb der Onkel in dieser Nacht nicht untätig. Mehrmals stahl er sich in die stillen Waggons hinaus, und als er morgens in Prag Personalausweise aus der Hosentasche holte und zerknüllte Banknoten zusammenzählte, kam es Andrejko ganz selbstverständlich vor.
     
    Fero brachte ihn vom Bahnhof direkt nach Žižkov, wo sein Bruder Štefan wohnte. Verschlafen trottete Andrejko über den Bürgersteig, in seinem Kopf drehte sich alles, und als er aufblickte, sprang er gleich auf die Fahrbahn, aus Angst, die hohen Häuser würden auf ihn herabstürzen   … Zum ersten Mal in seinem Leben sah er Straßen mit Menschen und Autos, mit Straßenbahnen, die an jeder Haltestelle und an jeder Kreuzung klingelten, zum ersten Mal ging er durch eine Straße, die oben mit Drähten zugenäht war, elektrische Funken sprühten und stoben über seinem Kopf   … Die Siedlung und die Mama mit ihren verweinten schönen Augen waren weit weg, verschwunden waren die glitzernden Bäche und das goldene Laub an den Berghängen. Mit offenem Mund blieb Andrejko an jeder Ecke stehen, vor Müdigkeit fielen ihm allmählich die Augen zu, aber Fero hatte es eilig und zog ihn hinter sich her. Verwundert drehte man sich nach ihnen um: ein humpelnder, mit Gold behängter Mann mit muskulösen tätowierten Armen und frisch vernarbten Wunden auf beiden Wangen und ein schmuddeliger kleiner Junge in zerrissener, von einer Schnur gehaltenen Hose, der den Passanten im Weg war.
    Fero lieferte den verängstigten Andrejko bei seiner Schwägerin Ida ab, wechselte mit ihr zwischen Tür und Angel ein |16| paar Worte, überreichte ihr einen Teil seines nächtlichen Erlöses   – und schon brach er wieder auf zum Bahnhof, zu den Gleisen, zu einer neuen Reise.
     
    Das Haus in Žižkov und die Siedlung in Poljana hätten unterschiedlicher nicht sein können. Der freie Raum war von den hohen Dächern in enge Straßen und Hinterhöfe zerschnitten, hinter dem Fenster tat sich kein blauer Himmel auf, sondern eine Pawlatsche, von deren Decke der Putz abbröckelte und in die nur mittags die Sonne hineinlugte. Andrejko saß den ganzen Tag mit knurrendem Magen in einer Ecke, hielt das Kreuz von seiner Mama unter seinem Hemdchen fest in der Hand, und mit dem schmutzigen Ärmel verschmierte er Tränen über sein ganzes Gesicht. Er sehnte sich nach den Kindern aus der Siedlung, nach dem Schlamm zwischen den Hütten, in den er noch gestern tiefe Rinnen gebuddelt hatte, er sehnte sich auch nach dem Bach, in dem die älteren Jungs Krebse fingen. Aber am meisten sehnte er sich nach seiner Mama, der schönsten und besten Mama der Welt, die ihm jeden Abend vorgesungen und Geschichten erzählt hatte, und wenn er traurig war oder ihn nachts böse Geister heimsuchten, hatte sie ihn getröstet. An seine Mama konnte er sich anschmiegen, in ihren Armen konnte er sich ausweinen, seine Mama fehlte ihm am meisten   …
    In Žižkov nahm ihn keiner in den Arm, hier waren die Kinder auf sich selbst gestellt. Und ihre Welt   – die Pawlatsche, der Innenhof und die Straße   – sollte nun sein neues Zuhause werden.
     
    Der kleine Andrejko mit seinen abstehenden Ohren und verweinten Augen und der ewigen Schnoddernase war zum Steinerweichen, und da Štefan und Ida ihn schon am Hals |17|
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