Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman
Autoren: Martin Smaus
Vom Netzwerk:
zu der Notaufnahme am Denis-Kai kamen, dort lehnte Andrejko seine Darja gegen die Tür, lächelte sie ein letztes Mal an und gab ihr einen Kuss auf die glühende Stirn, eine Weile blieb er vor ihr auf den Knien hocken, dann stand er auf und klingelte. Noch bevor in dem dunklen Flur das Licht anging, war er hinter einer Ecke verschwunden. Von dort aus verfolgte er, wie die Tür aufgeschlossen wurde, er vernahm aufgeregte Stimmen, dann fiel die Tür zu, und eine Weile passierte nichts. Ein paar Minuten später aber tauchte auf der Brücke ein Blaulicht auf, Bremsen quietschten, ein Krankenwagen hielt und raste nach einer Weile wieder davon. Andrejko beobachtete erstaunt, wie sich das grelle Blau in den Fenstern widerspiegelte, wie das Licht schwächer wurde und schließlich ganz zwischen den Häusern verschwand.
    Bachtalo tiro drom   …
Glück auf deinem Wege, Mädchen, flüsterte er,
ťaves bachtaľi   …
Mögest du glücklich sein.

|356| 30.
    Nun war Andrejko allein. Eine große Last war von ihm gefallen. Zurück nach Petrohrad wollte er nicht, nicht zurück zur Tante und zu den zitternden Händen seines Cousins Tibor   … Vorsichtig umrundete er das riesige Gebäude der Polizeidirektion, in dem er vor Jahren geschlagen und getreten worden war, er schlenderte über die Kreuzung auf das Brauereitor zu, die Gärkeller und die Männer kamen ihm in den Sinn. Ob sie wohl immer noch um ein Bierfass herumstanden und ihre Blechkrüge in der Hand hielten, die im heißen Wasser vorgewärmten Maßkrüge, ob sie immer noch durch ein Bierglas die Welt golden und schön wahrnahmen? Aber das Tor war geschlossen, und seine Beine trugen ihn weiter, über die breite Ausfallstraße wälzten sich Lastwagen und Sattelschlepper wie Kamele, wie eine Karawane durch die Wüste, wie ein Fluss, der im Nichts anfängt und im Nichts endet   … Andrejko ging durch die Bahnunterführung, dann weiter bis zur Brücke, dort blieb er stehen, beugte sich über das Geländer und sah eine Weile hinunter zum Fluss. Die Wellen hüpften verspielt über die Steine, dünne Weidenzweige neigten sich zum Wasser, und das alles war so schön, dass er die Böschung hinunterrutschte. Erst dort, am Ufer, unter den Weiden und inmitten von trockenem Schilf, bemerkte er, dass immer noch Darjas Puppe in seiner Tasche steckte, es war eine schmuddelige, mit Schokolade |357| beschmierte Puppe, aber sie konnte ihre Augen öffnen und wieder schließen, und wegen dieser Augen mochte Darja sie von all ihren Spielsachen am liebsten   …
    Aber er konnte sie ihr nicht mehr zurückgeben, das Leben seines Mädchens lag nicht mehr in seinen kraftlosen Händen   … Ein Gefühl der Schwere zog ihn nach unten, zu den flackernden Lichtern, die auf der Wasseroberfläche wie Sterne glänzten, Andrejko folgte ihnen, bis ihm schwindlig wurde, er bahnte sich einen Weg durch die Weidenzweige und landete unversehens im Wasser. Von der Brauerei stieg Dampf auf, vom Bahnhof hallte der Lärm der rangierenden Züge in die Nacht und das Echo der Befehle und Meldungen in dem sonderbaren Eisenbahnercode, Vierhundertacht von Sieben über Zwei auf Vier, Hundertfünfzehn über Drei auf Acht, über die Stahlbrücke ratterte ein Güterzug   …
    Andrejko lächelte die Puppe an, zupfte ihr Kleidchen zurecht, legte sie zärtlich in die Strömung und flüsterte
Bachtalo tiro drom
, Glück auf deinem Wege   … Dann schloss er die Augen, und statt Brauerei, Sudhaus, Gärkeller und Mälzerei sah er die aufgeplusterten und weichen Bergkuppen und die Kronen der uralten Bäume vor sich, und seine Füße steckten nicht bis zu den Knöcheln im eiskalten Wasser, sondern stapften irgendwo im Osten durch riesige Haufen von warmem und goldenem Laub   …
    Das trübe Wasser trieb Darjas Puppe an der Kirche des heiligen Georg vorbei, Richtung Pecihrádek und zu der Papierfabrik von Bukovice, sie schaukelte sanft in der Strömung und verschwand bald in der Dunkelheit.
    Über den Dächern der Plattenbauten von Doubravice wurde es heller, still zog der Morgenstern über den Himmel, der letzte Stern dieser sich ihrem Ende zuneigenden Nacht.

|358| 31.
    Seine durchnässten und vor Kälte steifen Beine trugen ihn nur mit Mühe weiter über die Americká-Straße. Als er die Unterführung vor dem Hauptbahnhof durchquerte, donnerten schwere Stahlräder über ihm, er hörte das ohrenbetäubende Quietschen von Bremsen, und eine Lautsprecherstimme verkündete schnarrend, an Gleis zwei sei der internationale
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher