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Kohärenz 03 - Time*Out

Titel: Kohärenz 03 - Time*Out
Autoren: Andreas Eschbach
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Befreiung

1

    Das Warten schien kein Ende zu nehmen. Der Tag auch nicht. Christopher kam es vor, als müssten sie bis in alle Ewigkeit in diesem glühend heißen Wagen sitzen, im Niemandsland von Nevada, am Rand dieser Siedlung, die sich wie nannte? Wells? Hieß das auf Deutsch nicht so viel wie Brunnen? Wie passend!
    Jetzt rührte sich etwas. Doch es war nur ein magerer, jammervoll aussehender Hund, der von Schatten zu Schatten schlich und an Mülleimern schnüffelte. Ab und zu schaute er witternd herüber, als ahne er, dass ihn aus dem grauen Lieferwagen am Straßenrand vier Männer und ein siebzehnjähriger Junge beobachteten. Schließlich spitzte er die Ohren und huschte davon.
    Niemand sagte etwas. Alle waren damit beschäftigt, zu atmen, zu schwitzen, am Leben zu bleiben. Christopher griff nach der Flasche mit dem Wasser, aber das schmeckte brühwarm und abgestanden und erfrischte längst nicht mehr.
    »Das war keine gute Idee«, sagte er leise.
    Er sagte es eigentlich zu sich selbst, aber Kyle hatte es gehört, klopfte ihm von hinten auf die Schulter und meinte: »Nur kein Neid, Sportsfreund. Bloß, weil es ausnahmsweise mal nicht deine Idee war.«
    »Quatsch«, gab Christopher ärgerlich zurück.
    Allerdings fragte er sich tatsächlich, warum er nicht selber auf die Idee gekommen war. Vor Kyle zumindest, der von Computern und Mobilfunktechnik so gut wie nichts verstand.
    Andererseits, sagte sich Christopher, hatte er damals einfach anderes im Kopf gehabt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Er kniff die Lider zusammen, öffnete sie wieder. Der Schweiß biss in den Augen. Ihm war, als brenne sich der Anblick draußen allmählich in seine Netzhaut ein: eine ausgebleichte Asphaltstraße, auf einer Seite eine Reihe identisch aussehender Häuser, auf der anderen Niemandsland bis zum Horizont. Karge Steppe, graues bleiches Gras und schließlich, wie zum Hohn, schneebedeckte Berge, deren Konturen in der aufsteigenden Hitze flimmerten.
    Vor dieser Szenerie stand eine abgeschabte Plakatwand. Sie war leer. Kein Wunder: Wer würde Geld dafür bezahlen, hier zu werben, in dieser öden, verlassen daliegenden Straße?
    Christopher betrachtete die Häuser. Es stimmte nicht, dass sie alle gleich aussahen. Eines davon war größer, sein Garten besser gepflegt, und es besaß nicht wie die anderen eine simple Einfahrt vor einer Garage, sondern einen Carport. Ein protziges Schild verkündete: Immobilien Albert Burns.
    Und schräg gegenüber hatten sie ihren Wagen am Straßenrand geparkt, so, dass sie, hinter einer halb verspiegelten Sonnenschutzfolie verborgen, alles gut im Blick hatten. Denn dieses Haus war der Grund, warum sie hier waren.
    Hinter Christopher rauschte plötzlich das Funkgerät. »Ein Wagen biegt ab«, sagte eine undeutliche Stimme. »Der Beschreibung nach könnte er das sein.«
    Die Männer rings um Christopher setzten sich auf, rutschten in ihren Sitzen zurecht, streckten die Köpfe nach vorn. Jemand patschte Christopher auf die Schulter, mit einer heißen, feuchten Hand. »Dass du dir die Nummer von diesem Motorrad gemerkt hast – sagenhaft. In so einer Situation. Reife Leistung.«
    Christopher sagte nichts. Er bereute es längst, das mit dem Motorradkennzeichen überhaupt erwähnt zu haben. Und was hieß reife Leistung? Er hatte nun mal ein Gedächtnis für Zahlen, Codes, Programme, Passwörter und so weiter. Sich so etwas zu merken, ging bei ihm ganz von selbst.
    Anstrengung erforderte es höchstens, sich die Begleitumstände ins Gedächtnis zu rufen, unter denen er sich ein Detail gemerkt hatte. In diesem Fall kein Problem, dazu waren die Geschehnisse zu dramatisch gewesen: Er sah das Kennzeichen noch vor sich, dann das Motorrad und schließlich die ganze Szenerie. Passiert war es rund zweihundertfünfzig Kilometer von hier entfernt, mitten in Nevada, auf einer der wenigen Straßen, die die Wüste durchquerten. Ein hagerer älterer Mann in Motorradkluft hatte sie angehalten und behauptet, seiner Frau sei schlecht.
    In Wirklichkeit war es eine Falle der Kohärenz gewesen. Der Mann hatte sie mit einer Waffe bedroht. Und Serenity hatte ihn hinterrücks niedergeschlagen, mit einem Stück Holz, das ihr Bruder Kyle als Unterlage für den Wagenheber dabeigehabt hatte, und mit einer wütenden Entschlossenheit, die Christopher immer noch imponierte, wenn er daran zurückdachte. Er bezweifelte, dass er das selber so hingekriegt hätte.
    Anhand des Motorradkennzeichens hatten sie den Halter des Motorrads ermittelt. Was
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