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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman
Autoren: Martin Smaus
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Nacht, von der man nicht wusste, was sie bringen würde   …
    |337| Der Bahnhof pulsierte im dröhnenden Rhythmus von Maschinen, verrückte Schmiede, außer Rand und Band geraten, schlugen rostige Nägel in Andrejkos Schädel. Ein paar Glatzen rannten durch die Bahnhofshalle, sie schienen jemandem auf den Fersen zu sein, eine Weile später sah er sie wieder, sie standen im Kreis und traten gegen etwas oder gegen jemanden, Reisende liefen achtlos an ihnen vorbei, nicht einmal die Obdachlosen hoben die Köpfe von ihren schimmeligen Brotkanten und dem schal gewordenen Bier, rumänische Matronen in weiten Röcken stillten weiter ihre schmuddeligen Babys, und die Bullen wechselten schleunigst auf die andere Bahnhofsseite, damit sie nichts gesehen haben mussten.
    Sollte seine Reise hier zu Ende sein? Sollte das hier das Gelobte Land sein?
     
    Hätte er wenigstens den Mut, ein Glas zu zerschlagen, sich die Pulsadern aufzuschneiden oder die Scherben herunterzuschlucken, dann hätte man ihn vielleicht in die Klapse gebracht, dort war es so schön still. Aber zuerst musste er Darja in Sicherheit bringen, sein kleines Mädchen, das hatte er Anetka versprochen. Doch die Nacht war lang und bis zum Morgen dauerte es noch ewig. Am Nebentisch hörte er einen Mann erzählen, wie er seine Arbeit verloren hatte und wie dadurch seine Frau von Stund an eine andere geworden war, so dass er sich schließlich aus dem Staub hatte machen müssen, er hatte ihr alles dagelassen, das Haus, das Geld, sogar seine Zahnbürste, und war mit dem erstbesten Zug abgedampft. Und nun sei er hier, sagte dieser Mensch mit müder Stimme. Er habe sich schon dran gewöhnt, der Mensch sei ja ein Gewohnheitstier, nur die Kinder fehlten ihm, Weihnachten stehe vor der Tür, das erste Mal Weihnachten auf dem Bahnhof, das tue schon weh   …
    |338| Als Darja schläfrig wurde, ließ sich Andrejko ein letztes Bier einschenken und setzte den Rucksack auf, mit einer Hand hob er die Kleine hoch, in der anderen hielt er den Becher und ging mit unsicheren Schritten zu den Bänken, auf denen sich Obdachlose breitgemacht hatten. Dort bettete er Darja auf seine Jacke und deckte sie mit seinem Pullover zu. Im Hemd war ihm nicht kalt, das Bier wärmte, und dann setzte er sich zu ihr, nahm ihre Hand, streichelte ihre schwarzen Haare und sah zur großen Wanduhr, die ganz langsam, beinahe lustlos, die Stunden abzählte, die sie von dem ersten Morgenzug nach Pilsen trennten.
    Die Uhr versank allmählich in Dunkelheit, die Decke der Bahnhofshalle drehte sich wie ein Karussell, das man vergessen hatte anzuhalten, und Andrejko schlief ein.
     
    Der Bahnhof erwachte in einen neuen Tag, und Andrejko blinzelte verschlafen. Er war todmüde und wusste nicht mehr, was Traum und was Wirklichkeit war, aber etwas schien nicht zu dem Bahnhofslärm zu gehören. Panisch hob er den Kopf. Darja stand neben ihm, sie weinte und jammerte, ein dünnes Rinnsal floss an einem Beinchen hinunter   … Andrejko sah sich erschrocken um, scharenweise eilten Reisende an ihnen vorbei, aber keiner blickte zu ihnen hinüber, und wenn doch einer das unglückliche Mädchen bemerkt haben sollte, wandte er angeekelt den Blick ab. Ein paar Meter weiter beugten sich zwei Polizisten über einen verdreckten, unrasierten Alten in einem wattierten Mantel, er suchte in seinen Taschen nach etwas, und die verklebten Barthaare an seinem Kinn zitterten   … Andrejko packte eilig den Rucksack zusammen, etwas fiel ihm in der Hast zu Boden, aber er hatte keine Zeit, sich zu bücken, er schnappte sich noch den Becher mit dem schal gewordenen Bier, nahm das schluchzende Mädchen |339| auf den Arm und verschwand rasch in die entgegengesetzte Richtung.
    Der erste Morgenzug nach Pilsen war schon weg.
     
    Andrejko streunte mit Darja auf dem Arm durch die Bahnhofshalle, trank das Bier und suchte nach einer Ecke, wo er sie umziehen und waschen könne. Aber wen sollte er fragen? Er wandte sich an eine Frau in Eisenbahneruniform und stotterte: Bi-bi-tte schön, wo   – wo finde ich   …, aber die Frau warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu und griff in ihre Tasche. Andrejko hörte in seinem Becher Münzen klimpern und erstarrte, damit hatte er nicht gerechnet, das hatte er nicht gewollt. Der Becher glitt ihm aus der Hand und die Münzen kullerten auseinander.
    Dann machte er sich mit dem Mädchen auf dem Arm erneut auf die Suche nach einem Waschraum.
    Kurz darauf standen sie schon unter der Dusche. Darja tapste durchs
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