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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman
Autoren: Martin Smaus
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wo der Böhmerwald lag und was ein Hammerwerk war, erst als das Wort Geld fiel, kam Leben in ihre Augen, und die Beamten zogen weitere Papiere aus ihren Aktentaschen und zeigten schon wieder in die Ferne: Das meiste Geld warte in den Kohlengruben und Eisenhütten bei Kladno, sagten sie, in |20| den Chemiewerken bei Ústí nad Labem und in Ostrava, dem glühenden Stahlherzen der neuen Republik   …
    Du schwarz-verrußtes Ostrava, du getreues Mädchen, heißt es in einem Lied   … Ausgerechnet dort, in Mariánské Hory in Ostrava, sprang eines Tages vor einem älteren Mietshaus auch der junge Štefan von der Klappe eines Lastwagens herunter.
    In der verlassenen Siedlung von Snina tauchten Planierraupen auf, und all die aus Lehm, Holzplanken, rostigem Blech und Pappe zusammengeschusterten Hütten, Bretterbuden, Hühnerställe und Holzverschläge fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen.
    Zu dieser Zeit aber fuhr Štefan schon in den Schacht, in die Kohlengrube Hlubina. Nicht dass er so scharf gewesen wäre auf die Plackerei, aber da er nun schon mal in Ostrava war, blieb ihm nichts anderes übrig. Immerhin konnte man so gutes Geld verdienen, und obwohl Štefan kaum schreiben konnte, brachte er nach ein paar Wochen mehr nach Hause als ein Arzt oder ein Universitätsprofessor. Das stieg ihm dermaßen zu Kopf, dass er aufhörte, auf der Straße seine Verwandten zu grüßen, die sich anfangs mit wechselnden Aushilfsarbeiten über Wasser hielten und später nur noch Kohle von der Schlackenhalde klaubten oder in der Müllkippe wühlten.
    Peňážky
, Penunze, Moneten   … Solange die Dunkas in ihrer Siedlung gelebt hatten, war ihnen Eigentum nicht wichtig, sie besaßen ja weder Grund und Boden noch Häuser oder Felder, die sie hätten verlieren können, und Geld hatten sie gerade so viel, wie ihnen in der Kneipe unter die Geigensaiten oder in die Bögen gesteckt wurde oder sie für Pferde und gegerbte Felle bekamen. Aber die Pferdehändler und die Juden hatte der Krieg davongeschwemmt, und von den |21| Dörflern gab es nur Kartoffeln, Mais oder Kohl als Lohn, denn auch um diese machte das Geld einen großen Bogen. Dafür hatten die Dunkas mehr als genug an Hunger und Kälte gehabt, aber jeder von ihnen hätte das letzte Ei oder die letzte Handvoll Mehl geteilt, damit ihre Kinder ja keinen Hunger leiden müssten.
    Erst der Zaster aus den Kohlengruben und Eisenhütten von Ostrava trieb einen Keil zwischen sie, schneller und gründlicher als ein Hochwasser spülte es die alten Gewohnheiten davon, und nach nur wenigen Monaten war vollbracht, was fern im Osten die Planierraupen begonnen hatten.
    Die Dunkas, in kleine Wohnungen und Zimmer in den Bergmannsheimen versprengt, lebten nun anders, als sie es seit Jahrhunderten gewöhnt waren. Zum ersten Mal stiegen sie Treppen hoch, lernten den Wasserhahn zu drehen und die Toilettenspülung zu betätigen, und bald kam auch der Tag, an dem der eine vor dem anderen sein Geld versteckte. Beschnitten und gestutzt von den vier Wänden ihrer winzigen Wohnungen war auf einmal jeder sich selbst überlassen. Und auch wenn sie weiterhin gemeinsam ihre schluchzenden Lieder sangen, auch wenn sie sich weiterhin gemeinsam mit Billigfusel betranken, spürten sie es, irgendwo tief drinnen tat es ihnen weh, und wenn sie aus dem Rausch erwachten, war der Schmerz wieder da.
    Die Dunkas von Poljana, die so viele Jahrhunderte zusammengeblieben waren, allen Hungersnöten, Krankheiten und Kriegen zum Trotz, diese Dunkas gab es nicht mehr.
    Auch wenn Štefan zu Hause immer noch seine Muttersprache benutzte, das alte Romani, fanden sich auf seiner Zunge immer häufiger Wörter, die er im Schacht und in den Bergmannsspelunken aufgeschnappt hatte, Wörter in dieser sonderbaren Sprache, in die das Leben der Goralen aus den |22| Beskiden, der Hultschiner Schlesier und Zipser Zigeuner umgeschmolzen wurde, das Leben der Juden und Ruthenen aus Galizien und der Karpato-Ukraine, die nicht mehr zum Handeln und Geschäftemachen, sondern zum Arbeiten hierherkamen, zum Malochen, zum schweren und gefährlichen Frondienst in der Kohlengrube, an den Siemens-Martin-Öfen und in den Walzwerken. Es war ein schnelles und wortkarges Leben. Weder am Ofen noch im Schacht war Zeit zum Schwatzen, und im Wirtshaus floss wegen eines falschen Wortes gleich Blut, denn so war Ostrava und so waren die Menschen, deren Lebenswege hier aufeinanderprallten.
    Ostrava war in Licht gehüllt, von den Stichflammen der Hochöfen, der Kokerei und
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