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Lying: Gibt es gute Lügen? (German Edition)

Lying: Gibt es gute Lügen? (German Edition)

Titel: Lying: Gibt es gute Lügen? (German Edition)
Autoren: Sam Harris
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der Anwesenheit von Kindern zu lügen. Wie bitte? Sie zweifeln noch daran, dass es für die Erwachsenen nicht immer toll ist, wenn ihre Kinder die Wahrheit kundtun? Vielleicht kann Sie ein weiteres Beispiel überzeugen: Die Frau meines Freundes Daniel erzählte ihm, dass ein befreundetes Ehepaar demnächst für eine Woche zu Besuch kommen wolle. Daniel war absolut dagegen. Eine ganze Woche, also eine gefühlte Ewigkeit – und das, obwohl er mit dem männlichen Gast einfach nicht klarkam. Wie auch immer, es kam deshalb zu einem kurzen Streit zwischen Daniel und seiner Frau, den ihre Tochter mitbekam.
    Letzten Endes gab Daniel nach, und schon kurze Zeit später stand das Paar mitsamt einer beeindruckenden Menge Gepäck vor der Tür. Schon beim Hereingehen bedankte sich der unliebsame männliche Gast bei Daniel, dass sie im Gästezimmer übernachten durften.
    »Hör doch auf, ich freue mich, euch zu sehen«, sagte Daniel, während seine Tochter neben ihm stand. »Wir finden es toll, dass ihr gekommen seid!«
    »Aber Dad, du hast doch gesagt, dass du nicht willst, dass sie kommen.«
    »Nein, hab ich nicht.«
    »Doch! Weißt du das nicht mehr?«
    »Nein, nein ... das war etwas ganz anderes!«
    Daniel stellte fest, dass er seinem Besuch nicht länger in die Augen sehen konnte. Da ihm nichts Besseres einfiel, nahm er seine Tochter bei der Hand und führte sie mit den Worten »Wo ist eigentlich dein Malbuch?« in ihr Kinderzimmer. Die ganze nächste Woche ließ ihn das Gefühl der peinlichen Situation kaum mehr los.
    Natürlich ist das eine witzige Geschichte – doch darüber lachen können nur Unbeteiligte. Und was lernen unsere Kinder in Momenten wie diesen von uns und unserem Verhalten? Wollen wir ihnen wirklich solche Vorbilder sein? Und auch bei den Erwachsenen bleibt ein schaler Geschmack zurück, wenn sie festgestellt haben, dass es um unsere persönliche Integrität nicht zum Besten bestellt ist. Sicher können wir uns entschuldigen und uns für die Zukunft vornehmen, offener und direkter zu werden. Doch der schlechte Eindruck, den wir mit solchen »Spielchen« hinterlassen haben, bleibt erst einmal bestehen.
    Peinliche Situationen wie diese, aber auch gesellschaftliche Katastrophen, lassen sich ganz einfach durch einen einzigen Grundsatz vermeiden:
Du darfst nicht lügen
.
Ehrliche Worte
    Es gab schon Projekte in meinem Leben, in denen von Anfang an der Wurm drin war, in die ich aber trotzdem Monate – in einem Fall sogar Jahre – an Arbeit investiert hatte. Ein aufrichtiges Feedback gleich zu Beginn hätte mir diese unglaubliche Vergeudung meiner Energie ersparen können. Schließlich gab es auch schon ehrliche Kritik im richtigen Moment, woraufhin ich sogleich einen Kurswechsel einleiten konnte, was mir jede Menge Ärger und überflüssige Arbeit erspart hat. Keine Frage, zwischen diesen beiden Beispielen liegen Welten. Natürlich hörtniemand gerne, dass er seine Zeit vergeudet oder dass seine Leistung zu wünschen übrig lässt, doch berechtigte Kritik ist genau das, was wir brauchen, um unseren Platz in der Welt zu finden.
    Und trotzdem erliegen wir oft genug der Versuchung, unsere Freunde und Kollegen mittels eines nicht ernst gemeinten Lobes zu ermuntern, doch weiterzumachen wie bisher. Damit behandeln wir sie jedoch wie kleine Kinder – und behandeln sie eben nicht wie Erwachsene, die gelernt haben, mit Kritik umzugehen. Ich will damit nicht sagen, dass wir immer und an allem herumkritisieren sollten. Aber wenn wir nach unserer Meinung gefragt werden, tun wir unseren Freunden keinen Gefallen, indem wir so tun, als hätten wir die Mängel ihrer Arbeit übersehen. Vor allem, wenn andere, die nicht zum Freundeskreis zählen, eben genau diese Mängel unverblümt zur Sprache bringen. Seinen Freunden durch Ehrlichkeit Enttäuschungen und unangenehme oder peinliche Situationen zu ersparen, bedeutet viel mehr, als schlichtweg nett zu sein. Eilt uns erst einmal der Ruf voraus, dass wir stets unsere ehrliche Meinung sagen, erhalten auch Lob und Ermunterungen aus unserem Munde mehr Gewicht.
    Einer meiner Freunde ist ein erfolgreicher Schriftsteller. Am Anfang seiner Kariere hatte er ein meines Erachtens grauenhaftes Manuskript verfasst. Ich habe mit meiner Meinung damals nicht hinter dem Berg gehalten und ihm in schonungslosen Worten mitgeteilt, was ich davon hielt. Es ist mir natürlich nicht leichtgefallen, zumal ich wusste, dass er ein knappes Jahr daran gearbeitet hatte – aber es war dennoch die Wahrheit!
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