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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung
Autoren: N Cross
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Madsen.
    Luther zerrt Madsen aus dem Auto. Madsen schreit auf. Er brüllt und
bettelt. Seine Stimme überschlägt sich. Aber Luther weiß, dass niemand Madsen
zu Hilfe kommen wird, denn Luther weiß, dass das nie jemand tut.
    Er klemmt den Unterarm um Madsens Halsschlagader und drückt zu.
Innerhalb weniger Momente werden Madsens Beine schwach, drohen unter ihm
wegzuknicken.
    Luther führt ihn im Polizeigriff halb bewusstlos in den Park.
    Es scheint ein blanker, weißer Vollmond. Darüber ziehen Wolken,
leicht wie Kanonenrauch.
    Er schiebt Madsen vorbei am Spielplatz, an den roten Schaukeln, dem
fröhlichen Karussell, in die dahinterliegende Dunkelheit – ein städtisches
Brachland, das von wilden, jungen Birken und Eschen umgrenzt ist.
    Madsens Kopf wird wieder klarer. Er holt tief Luft, will um Hilfe
schreien. Luther wirft ihn auf den Boden. Zerrt ihn weiter.
    Auf diesem Gelände gab es einmal eine Kläranlage, dann eine
Müllhalde. Seit 1963 ist es ungenutzt. Vor fünf Jahren kam Luther hierher zum
Tatort eines Mordes. Eine Prostituierte namens Dawn Cadell.
    Er schleift Henry durch die bleichen, wuchernden Schösslinge in ein
buschiges Grasland, auf dem sich hartnäckige Rhododendren,
Schmetterlingsflieder und Japanischer Staudenknöterich ausgebreitet haben. Das
Mondlicht leitet ihn durch das hüfthohe Blattwerk.
    Er stellt Madsen wieder auf die Füße und drängt ihn zwischen die
Bäume – einen dichten jungen Wald aus Eichen und Eschen.
    Unter seinem rauschenden Kronendach ist es still. Das Auge des
Mondes schließt sich. Da ist nur das abgehackte Geräusch ihres angestrengten
Atems, der Nachtwind in den wilden Sträuchern. Der schwache Schein der
elektrischen Lichtverschmutzung um sie herum.
    Menschliche Füße haben zwischen den Bäumen ein Wegenetz entstehen
lassen. Solche Trampelpfade heißen desire paths , Sehnsuchtswege.
    Luther hat der Ausdruck immer gefallen.
    Er führt Henry den breitesten Pfad entlang.
    Sie kommen an eine Lichtung. Der weiße Mond strahlt hell auf eine
dicht von Unkraut bewachsene Wiese, die mit den Skeletten rostiger Autos
übersät ist. Ohne Räder. Ohne Fenster. Ohne Glas. Ein Friedhof von Metros,
VW-Käfern, einem umgedrehten Postwagen, verstreut wie die Hüllen riesiger
Insekten.
    Und nahe an die Bäume geschmiegt, halb verdeckt von Fingerhut und
Lupinen und Dornengestrüpp, liegt das verrottende Skelett eines Wohnwagens.
    Luther treibt Henry zum Wohnwagen und stößt ihn hinein.
    Es riecht stark nach Nässe und Fäulnis.
    Luther zwingt Henry, sich auf die U-förmige Bank zu setzen, die um
den noch immer im Boden verankerten Esstisch herum verläuft. Der Vinylbezug der
Bank ist zerrissen und der Schaumstoff darunter kommt zum Vorschein. Er wimmelt
und kribbelt von Insekten.
    Sie sitzen in Dunkelheit und Stille.
    Madsen schaudert und grinst wie ein Affe.
    Als er wieder zu Atem gekommen ist, fragt Luther: »Also, wo ist sie,
Henry?«
    Madsen schlingt die Arme um seinen Körper, um sich zu wärmen. »Wie spät
ist es?«
    »23.32 Uhr. Wo ist sie?«
    »Wenn Sie mich umbringen, werden Sie es nie erfahren.«
    »Tja, das stimmt. Aber für Sie geht es auch nicht gut aus, nicht
wahr?«
    Ein langer Moment des Schweigens.
    »Eine halbe Stunde«, sagt Madsen. »Können Sie das aushalten?«
    »Nein. Und Sie?«
    Madsen lacht.
    Luther lehnt sich zurück. Mustert ihn durch die dichte, schwammige
Dunkelheit. Gestank verwesender Blätter. Verrottetes Sperrholz. Sich
auflösendes Gummi.
    Madsen beugt sich vor. »Sie können mir antun, was Sie wollen«, sagt
er. »Aber dafür kriegen Sie lebenslänglich. Und ich werde Ihnen nicht den
geringsten beschissenen Hinweis geben.« Sein Zittern beginnt nachzulassen, als
Dominanz und Kontrolle wieder in ihn zurückkehren. »Immerhin«, sagt er.
»Wenigstens wissen Sie dann, dass sie als Jungfrau gestorben ist.«
    Sie atmen dieselbe stinkende Luft ein.
    Madsen bricht das Schweigen. »Wie spät ist es jetzt?«
    »23.38 Uhr.«
    »Knapp über zwanzig Minuten.«
    Luther schaudert vor Kälte.
    »Wenn Sie mich umbringen wollten«, sagt Madsen, »hätten Sie es im
Haus meiner Mutter tun müssen. Wer hätte je herausgefunden, ob es Notwehr war
oder nicht, hä? Deswegen glaube ich Folgendes. Ich glaube, mehr als alles
andere auf der Welt wollen Sie die kleine Mia zurück.«
    »Ja«, antwortet Luther.
    »Also muss es einen Ausweg geben, nicht? Es muss einen Weg geben,
dass ich bekomme, was ich will, und Sie bekommen, was Sie wollen.«
    Ratten kriechen durch das von
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