Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung
Autoren: N Cross
Vom Netzwerk:
1
    John Luther, ein großer Mann mit großen Schritten,
überquert den im nächtlichen Regen glitzernden Krankenhausparkplatz. Er geht
durch die Schiebetüren zur Notaufnahme, steuert auf den Empfang zu und zeigt
der philippinischen Triage-Schwester seine Dienstmarke.
    »Ich suche Ian Reed.«
    »Ist das der Polizist?« Sie schaut auf den Monitor. »Er ist in
Kabine 18. Drüben auf der anderen Seite.«
    Luther marschiert durch den Wartebereich, schlängelt sich zwischen
Krankenschwestern in Gummiclogs hindurch. Er ignoriert das Stöhnen der
Komasäufer, der geschlagenen Frauen, der Selbstverstümmeler, der
Überdosis-Kandidaten.
    Er schiebt den schweren Vorhang vor Kabine 18 zur Seite, und da ist
Ian Reed, er sitzt ohne Krawatte auf der Bettkante.
    Reed ist blond und dünn, von Natur aus sehnig. Das Blut auf seinem
weißen Hemd ist stellenweise getrocknet. Er trägt eine weiche Halskrause.
    »O Mann«, sagt Luther und schließt den Vorhang.
    »Tja. Es ist nicht so schlimm, wie’s aussieht.«
    Reed wurde an der Kopfhaut mit ein paar Stichen genäht, er hat einen
Bänderriss, geprellte Rippen. Und gequetschte Nieren, er wird eine oder zwei
Wochen lang Blut pissen.
    Luther zieht einen Plastikstuhl heran. »Was ist mit deinem Hals?«
    »Verstaucht. Sie hatten mich im Schwitzkasten. Haben mich aus dem
Auto gezerrt.«
    »Wer?«
    »Lee Kidman. Barry Tonga.«
    Luther kennt Lee Kidman, er ist Bodybuilder, Türsteher,
Schuldeneintreiber. Macht ab und zu Pornos. Der zweite Name sagt ihm nichts.
    »Barry Tonga«, wiederholt Reed. »Samoaner. Rasierter Schädel,
überall Tattoos. Breit wie ein Schrank. Macht gelegentlich Cage Fights.«
    Luther senkt die Stimme zu einem Flüstern. »Und warum haben sie das
getan?«
    »Kennst du Julian Crouch? Immobilienhai. Er besaß einige Nachtclubs: House of
Vinyl, Betamax, Intersect . Und ein Tonstudio in Camden. Aber es
geht bergab mit ihm.«
    »Geht es nicht mit allen bergab?«
    Reed erzählt, dass Crouch eine halbe Häuserreihe in Shoreditch
besitzt, sechs Häuser. Er hat einen Käufer dafür gefunden, irgendeinen Russen,
der alles umbauen will, um rechtzeitig vor Olympia ein Fitnessstudio daraus zu
machen.
    Crouch ist hoch verschuldet. Und er lässt sich scheiden. Er braucht
einen Käufer, aber er kann nur fünf der sechs Reihenhäuser verkaufen.
    »Und«, fragt Luther, »wer wohnt in Haus Nummer sechs?«
    »Ein Typ namens Bill Tanner. Alter Seemann.«
    Luther stöhnt, denn Reed hat eine Schwäche für ehemalige Soldaten.
Das hat ihm früher schon Ärger eingebracht.
    »Und nun?«, fragt Luther. »Dieser Crouch will ihn rausschmeißen?«
    »Ja.«
    »Und warum zieht er dann nicht einfach weg?«
    »Weil es sein Zuhause ist, Mann. Er mietet es schon seit 1972. Seine
Frau ist in dem Haus gestorben, Herrgott noch mal.«
    Luther hebt die Hände. Okay, okay.
    Reed beschreibt Einschüchterungsversuche: Drohanrufe, vermummte
Jugendliche, die Hundescheiße in den Briefkasten des alten Mannes werfen, seine
Fenster einschlagen, einbrechen, das Wohnzimmer mit Graffiti beschmieren.
    »Hat er die Polizei gerufen?«
    »Die Sache mit Bill Tanner ist die«, sagt Reed, »er ist ein zäher
alter Bursche. Er hat ein Herz.« Das ist Reeds größtes Kompliment. »Er macht
Fotos von den Jugendlichen, gibt sie als Beweise ab. Er hat eine Heidenangst,
er ist ein alter Mann, der allein lebt und jede Nacht schikaniert wird. Also
kommen Polizisten vorbei, nehmen die Jugendlichen fest. Sie erwähnen Crouch
nicht. Und sie sind wieder frei, bevor die Sonne aufgeht. Am nächsten Tag,
vielleicht am übernächsten, bekommt Bill richtigen Besuch. Zwei schwere Jungs.«
    »Das sind dann wohl Kidman und Tonga?«
    Reed nickt.
    Luther verschränkt die Arme und starrt hinauf zu der Neonröhre, die
von innen mit den vertrockneten Körpern toter Fliegen gesprenkelt ist. »Und,
was hast du gemacht?«
    »Na was wohl? Ich bin zu Crouch gegangen. Hab ihm gesagt, er soll
Bill Tanner in Ruhe lassen.«
    Luther schließt die Augen.
    »Ach, komm schon«, sagt Reed. »Es ist ja nicht so, als hätten wir so
was noch nie gemacht.«
    Luther gibt es mit einem Achselzucken zu. »Wann warst du da?«
    »Vor ein paar Tagen. Dann komme ich heute Abend nach Hause, ich will
gerade parken, da fährt dieser Mondeo rückwärts in mich rein. Bevor ich
kapiere, was los ist, steigen zwei Typen aus, rennen auf mich zu, zerren mich
aus dem Auto und verprügeln mich.«
    Luther blickt auf die Halskrause. »Und das war bei dir zu Hause? Vor
deiner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher