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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
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draufschreiben und sich mitten auf den Platz stellen?
    „Ein kleines Stückerl kann ich dich mitnehmen“, hat der dicke Mann gesagt. „Bis ein paar Kilometer vor der Stadt. Von dort musst dann selber weiterkommen.“
    Der dicke Mann hat Glatze zu einem großen Mercedes geführt. Glatze ist eingestiegen, hat die Sporttasche auf den Schoß genommen und „Danke“ gemurmelt.
    Der dicke Mann ist im Schneckentempo aus der Stadt rausgefahren, und er ist auch auf der Landstraße nicht viel schneller geworden. Unentwegt haben andere Autos den Mercedes überholt. Nach ein paar Kilometern auf der Landstraße hat der dicke Mann vor einem Wirtshaus gehalten. „Endstation, Burscherl“, hat er gesagt. „In dem Wirtshaus da bin ich zu Haus.“
    Glatze hat „Danke fürs Mitnehmen“ gemurmelt und ist ausgestiegen. Der dicke Mann hat drei große Supermarkt-Tragetaschen aus dem Kofferraum vom Mercedes geholt. „Ich helfe Ihnen reintragen“, hat Glatze gesagt, hat seine Sporttasche neben dem Mercedes geparkt und eine der Tragetaschen geschnappt. Hinter dem dicken Mann her ist er ins Wirtshaus rein und hat die Tragetasche vor der Schank abgestellt. Dort hat gerade eine junge Frau bei einem Kellner ihre Rechnung bezahlt.
    Der dicke Mann hat die junge Frau gefragt: „Fahrst du heim, Rosi?“
    Die Rosi hat genickt.
    „Dann könntest das Burscherl ein Stückerl mitnehmen“, hat der dicke Mann gesagt. „Er will nach Baudorf.“
    „Okay“, hat die Rosi gesagt, und Glatze ist mit ihr aus dem Wirtshaus raus und zu einem VW-Golf hin. Diese Rosi ist leider nicht so schweigsam wie der dicke Mann gewesen. Sie hat Glatze zwanzig Kilometer lang mit Fragen gelöchert. Zuerst hat sie wissen wollen, wen Glatze in Baudorf besucht, und Glatze hat gesagt, dass er zu seiner Oma will. Das hat der Rosi aber nicht gereicht. Wieso ihn die Oma nicht von der Bahn abgeholt hat, hat sie gefragt. Und wieso er zur Oma fährt, wenn doch morgen Schule ist? Und ob die Oma eine Bäuerin ist? Und wie lange er bei der Oma bleiben wird? Glatze hat ihr ziemlich blöde Antworten gegeben. Dass seine Oma plötzlich krank geworden ist. Und dass er morgen keine Schule hat, weil in seinem Schulhaus die Treppe eingestürzt ist. Und dass seine Oma Schafe und Hühner züchtet, und dass er eh nur bis morgen bleibt. Die Rosi hat ihn ein paarmal ganz komisch angeschaut, und Glatze hat damit gerechnet, dass sie gleich sagen wird, er soll ihr nicht solchen Bockmist auftischen. Gut zu lügen musst du eben von klein auf trainieren, das erlernst du nicht an einem Tag.
    Heilfroh, der Fragerei entkommen zu sein, ist Glatze gewesen, wie er zehn Kilometer vor Baudorf aus dem VW-Golf gestiegen ist.
    Zehn Kilometer, hat er sich gesagt, kann er auch zu Fuß schaffen, wenn es sein muss. Hat Glatze aber nicht müssen! Nur einen Kilometer ist er marschiert, dann hat ihn ein LKW mitgenommen. Bis Baudorf.
    Vor einer Bäckerei ist Glatze aus dem LKW geklettert und hat sich umgeschaut. Rechts von der Bäckerei ist ein Gasthaus gewesen, links von der Bäckerei ein Haus, auf dem „Gemeindeamt“ gestanden ist. Und auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine zugesperrte Greißlerei, daneben ein Feuerwehrhaus, eine Tischlerei und ein Wartehäuschen mit einer Bushaltestellen-Tafel. Und dahinter – sozusagen in der zweiten Reihe – sind Häuser mit Gärten herum gewesen und dazwischen eine kleine Kirche mit einem Zwiebelturm. Und wieder dahinter Bauernhöfe.
    Glatze hat in die Bäckerei hineingehen wollen, doch die Eingangstür ist versperrt gewesen. In der Bäckerei hat aber noch Licht gebrannt, und ein junges Mädchen hat den Fußboden gekehrt. Glatze hat an die Glasscheibe der Eingangstür geklopft. Das junge Mädchen hat den Besen an die Budel gelehnt, ist zur Tür gekommen, hat die Tür aufgesperrt, einen Spalt breit aufgemacht und Glatze neugierig angeschaut.
    „Bitte, können sie mir sagen, wo hier das Kinderheim ist?“, hat Glatze das junge Mädchen gefragt.
    „Kinderheim?“ Das junge Mädchen hat Glatze verwundert angeschaut. „Da? Bei uns? Da gibt’s kein Kinderheim.“
    „Die Hausnummer ist elf!“, hat Glatze gesagt. „Baudorf elf.“
    Das junge Mädchen hat den Kopf geschüttelt. „Nummer elf?“ Sie hat ein paar Sekunden nachgedacht. „Die Lehmann wohnen auf elf, glaube ich. Die haben immer ein paar Pflegekinder. Aber ein Kinderheim sind die nicht.“ Sie hat in Richtung Zwiebelturmkirche gezeigt. „Das wäre das hellblaue Haus gleich neben der Kirche.“
    Glatze
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