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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
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erleichtert, dass die Loretta weg ist. Nicht nur, weil sie klettenmäßig an dir geklebt ist, sondern weil es nicht leicht ist, zuzuschauen, wie Glatze dieses Girl anhimmelt. Aber andererseits willst du nicht, dass Glatze wie ein Schwein leidet. Und da hast du eben das Hirn voll Einerseits-andererseits-Wirrwarr und kannst dich nicht entscheiden, ob das Einerseits oder das Andererseits für dich wichtiger ist. Okay, du könntest dir natürlich auch sagen, dass es bei der Sache vor allem um die Loretta geht und darum, was für sie gut ist, aber daran denkst du halt nicht, die liegt dir eben nicht am Herzen.
    Der Opa hat die Heckenschere in die Scheibtruhe gelegt und zu Locke gesagt: „Ich habe gestern die Post reingeholt, und ich kann zwei und zwei zusammenzählen!“ Er hat die Scheibtruhe über den Rasen zum kleinen Werkzeughütterl geschoben.
    Locke ist neben ihm hergegangen. „Und?“, hat sie gefragt.
    Der Opa hat sich auf den alten Plastiksessel vor dem Werkzeughütterl gesetzt, hat in die Sonne geblinzelt und gesagt: „Nur keine Angst, es passiert ihm schon nichts. Die Himbeerburlis fallen immer auf die Butterseite.“
    „Glatze ist doch kein Himbeerburli!“, hat Locke protestiert.
    „Reg dich nicht auf“, hat der Opa gesagt. „Ist ja nicht seine Schuld, dass er mit einem silbernen Löffel im Mund auf die Welt gekommen ist.“
    „Wieso ist er mit einem silbernen Löffel im Mund auf die Welt gekommen?“
    Locke hat nicht kapiert, was ihr Opa meint.
    „Seid ihr doch alle!“, hat der Opa gesagt. „Du. Und Zecke und Zahn auch. Nur die Loretta nicht. Für die hat es nur einen Blechlöffel gegeben.“
    „Aber da können wir doch nichts dafür!“, hat Locke gesagt.
    „Hab ja auch nicht gesagt, dass ihr etwas dafür könnt.“ Der Opa ist aufgestanden und ins Werkzeughüttl reingegangen und hat in einer Kiste herumgekramt. Das ist so seine Art, ein Gespräch zu beenden.

IM GLATZE-HAUS HAT DIE GANZE Nacht Licht gebrannt. Bis weit nach Mitternacht unten im Wohnzimmer, dann oben im Schlafzimmer. Und im Morgengrauen wieder unten in der Küche. Da hat sich die Glatze-Mutter Kaffee gekocht und zum fünften Mal mit der Polizei telefoniert und hat sich von einem geduldigen Polizisten trösten lassen. Der hat ihr versichert, dass achtundneunzig Prozent aller ausgerissenen Kinder spätestens nach drei Tagen wohlbehalten zurückgebracht werden. Dann ist die Glatze-Mutter ins Schlafzimmer rauf, hat sich neben den sanft schnarchenden Glatze-Vater gelegt und gemurmelt: „Dein Schlachtergemüt möchte ich haben. Wie kannst du bloß friedlich schlafen, wenn unser Kind gerade verzweifelt irgendwo herumirrt?“

    Verzweifelt herumgeirrt ist Glatze im Morgengrauen aber nicht. Er ist auf der Bank im Wartehäuschen bei der Bushaltestelle Baudorf gelegen und hat geschlafen. Mit der Sporttasche als Kopfkissen, zugedeckt mit ein paar alten Zeitungen, die er aus dem Abfallkorb im Wartehäuschen geholt hat. Dass man Zeitungen als Kälteschutz nehmen kann, hat er aus dem Fernsehen gewusst, aus Filmen, wo Obdachlose unter der Brücke nächtigen. Und dass Glatze fixi-foxi-fertig gewesen ist, kannst du annehmen. Schließlich hat er allerhand hinter sich gehabt, und zwar ein bisschen viel für einen wie ihn, der überhaupt nicht drauf trainiert ist, viel auszuhalten.

KURZ NACH ZWÖLF UHR WAR Glatze mit einem Papiersackerl voll Geldscheine aus der Sparkassa-Filiale im Einkaufszentrum herausgekommen. Das Geldsackerl hatte er sich, damit es nicht verloren geht, unter das Hemd und das Unterleiberl geschoben und war mit dem Fahrrad der Stadt zu geradelt. Zum Westbahnhof hat er wollen. Den Weg dorthin hatte er sich daheim auf dem Stadtplan genau angeschaut. Nur: So einfach, wie das auf dem Plan ausgesehen hatte, ist das nicht gewesen! Glatze ist nur selten in der Stadt. Und allein ist er überhaupt noch nie in der Stadt unterwegs gewesen. Außerdem hat es dort, wo er geradelt ist, keinen Radweg gegeben. Er hat auf der Straße fahren müssen, und der Großstadtverkehr hat ihn ziemlich verschreckt. Irgendwie ist er dadurch vom geplanten Weg abgekommen. Keine Ahnung hat er plötzlich gehabt, wo er ist. Genervt hat er sein Fahrrad vor einem Bio-Supermarkt am Fahrradständer abgestellt und hat eine Frau gefragt, wie man mit der Straßenbahn zum Westbahnhof kommt.
    „Da vorne an der Ecken steigst ein“, hat die Frau gesagt, „und wennst die Durchsage ,Europaplatz’ hörst, steigst bei der nächsten Haltestelle aus, und dann kannst den
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