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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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aus dem Bett raus?“
    Glatze ist nämlich zu Mittag heimgekommen und hat sich ins Bett gelegt und auf taubstumm gespielt. Egal, was seine Mutter zu ihm gesagt hat, von ihm ist keine Reaktion gekommen. Nicht mal „Raus!“ hat er gebrüllt. Im Stundentakt hat die Glatze-Mutter die Locke-Mutter über den unveränderten Zustand von Glatze telefonisch informiert, und die hat es natürlich brühwarm ihrer Tochter berichtet.
    „Wir lassen ihn in Frieden“, hat Zecke entschieden. „Sein unseliges Muttertier reicht ja wohl als Heimsuchung.“

GLATZE IST ZWEI TAGE IM Bett geblieben. Bloß zum Aufs-Klogehen und zum Wassertrinken ist er aufgestanden. Gegessen hat er nichts. Und Zecke hat unrecht gehabt. Die Glatze-Mutter hat gar nicht „Heimsuchung“ gespielt. Erstens, weil sie so froh gewesen ist, dass die Lumpen-Loretta endlich aus der Siedlung weg ist, und zweitens, weil sie es eben mit den Krankheiten hat. Auch mit den seelischen. Und dass man seelisch angeschlagene Personen nicht bedrängen darf, weiß eine wie sie.
    Am Donnerstag ist Glatze wieder aufgestanden und hat getan, als sei mit ihm alles in Ordnung. Und seine Mutter hat gleich, wie er im Bad gewesen ist und geduscht hat, die Locke-Mutter angerufen und ihr mitgeteilt, dass ihr Konrad seinen Liebeskummer überwunden hat und ihr ein Stein vom Herzen gefallen ist. So erleichtert ist die Frau gewesen, dass sie Glatze zum Frühstück Spiegeleier mit Speck gemacht hat, obwohl sie von wegen zu viel Cholesterin und heißem Fett normalerweise gegen Speck-Eier, eine der Leibspeisen von Glatzes Vater, wettert.
    Wer Glatze nicht wirklich gut kennt, hätte sicher behauptet, dass er wieder ganz der Alte ist. Viel geredet hat er ja sowieso nie, und ausgeschaut hat er auch nicht anders. Aber wer Glatze so gut kennt wie Locke, Zecke und Zahn, der hat gemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
    „Er hat was von einem Zombie an sich“, hat Zahn zu Zecke gesagt. Und Zecke hat zustimmend genickt.
    Das Zombiemäßige an Glatze ist auch übers Wochenende nicht vergangen. Am Montag hat dann die Schule wieder angefangen, und Glatze ist jeden Tag brav hingefahren und hat gelangweilt den Unterricht über sich ergehen lassen. Die Hausübungen hat er wie immer zusammen mit Zahn, Zecke und Locke hingeschmiert, mal bei Locke daheim, mal bei Zecke oder Zahn daheim. Nachher ist er auch zum Eisessen ins Einkaufszentrum mitgekommen. Oder zum DVD-Schauen in das Kellerstüberl. Oder zum Tischtennisspielen bei Zecke. Aber er hat irgendwie abwesend gewirkt. Zombiemäßig eben. Und viel öfter als früher ist er in der Abenddämmerung auf seinem Denkstein gesessen und hat aufs Grünzeug-Feld gestarrt.

ÜBER DIE LORETTA HAT GLATZE nie ein Wort gesagt, und Zecke und Zahn haben sich nicht getraut, von ihr zu reden. Einmal hat es Locke versucht.
    „Gestern am Abend“, hat sie zu Glatze gesagt, „sind die Eltern von der Loretta da gewesen. In einem tollen Audi sind sie gekommen. Mit einem Mann und einer Frau. Denen hat der Audi gehört. Und nach einer halben Stunde sind sie wieder weggefahren. Meine Mama vermutet, dass sie das Haus verkaufen wollen.“
    Glatze hat nur „Ich weiß“ gemurmelt.
    „Glaubst du“, hat es Locke weiter versucht, „dass die Loretta wieder zurückkommen wird?“
    „Wie soll sie denn zurückkommen, wenn ihre Alten das Haus verkaufen?“, hat Glatze gesagt.
    „Könnte ja auch nur ein falsches Gerücht sein“, hat Locke gesagt. „Blöd geredet wird viel.“
    Glatze hat ihr keine Antwort gegeben. Hat glatt getan, als habe er es nicht gehört. Da hat es Locke bleiben lassen.

ANFANG OKTOBER DANN HAT ZAHN eines Abends Zecke und Locke zu sich heim, zu einer geheimen „Krisensitzung“ gebeten, weil es mit Glatze, seiner Meinung nach, so nicht weitergehen hat können. „Der Kerl wird doch von Woche zu Woche zombiemäßiger“, hat er gesagt. „Seit die Loretta weg ist, hat er noch kein einziges Mal gelacht. Er funktioniert wie ferngesteuert. Und dass er sich dreimal die Woche das Radon ins Hirn flutschen lässt, ist auch nicht normal.“
    „Sein Haupthaar rasiert er sich auch nicht mehr weg“, hat Zecke gesagt. „Lässt es ungeschoren sprießen. Da droht, diagnostiziere ich, der seelische Supergau!“
    „Also, was tun wir?“, hat Zahn gefragt.
    „Gar nichts können wir tun“, hat Zecke gesagt. „Es sei denn, einer von euch brächte ihm seine Zirkusprinzessin retour.“
    „Und wenn ich ihm den gebe?“ Locke hat ein Briefkuvert aus der Jackentasche gezogen.

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