Lumpenloretta
gewesen. Außer Haus trägt sie Konflikte mit ihrem Sohn nicht aus. Das könnten die Nachbarn hören und sich „das Maul zerreißen“.
Wie Glatze bei der Vorgartentür gewesen ist, sind zwei Autos hintereinander die Straße raufgekommen. Zuerst der alte Opel von Lockes Opa, dahinter ein kleiner Kia. Der Opel hat vor Lockes Haus eingeparkt, der Kia vor dem 19er-Haus, wo die Loretta am Vorgartenzaun gelehnt ist und neben Glatzes Fahrrad und Zeckes altem Fahrrad gewartet hat. Aus dem Kia ist eine Frau gestiegen und zur Loretta hingegangen. Und der Locke-Opa ist auch hingekommen. Glatze hat gesehen, dass die beiden auf die Loretta einreden. Verstanden, was sie sagen, hat er nicht. Aber weil er den Locke-Opa für den vernünftigsten Menschen der ganzen Siedlung gehalten hat, ist er nicht beunruhigt gewesen. Doch dann hat er gemerkt, dass die Loretta ganz komisch schaut. So, als ob es ihr nicht gut geht und sie Hilfe brauchen könnte. Und einen Grund, zu ihr hinzugehen, hat er ja gehabt. Schließlich ist sein Fahrrad neben ihr am Zaun gelehnt. Also ist er zu seinem Fahrrad hin, hat „Guten Tag“ gemurmelt, seine Sporttasche auf dem Gepäcksträger verstaut und so getan, als hätte er ein Problem, die Tasche ordentlich festzumachen. Und da hat er die Frau sagen gehört: „Wir reden besser im Haus drinnen weiter.“
Worauf die Loretta mit total piepsiger Stimme gesagt hat: „Die Haustür ist zu, und der Schlüssel steckt innen.“
Und der Locke-Opa erklärend: „Sie steigt lieber durchs Küchenfester aus und ein.“
„Dann nehmen wir eben auch diesen Weg“, hat die Frau gesagt und hat die Loretta durch die Vorgartentür geschoben und ist mit ihr um die Hausecke rum verschwunden. Und der Locke-Opa ist langsam dem Locke-Haus zugehumpelt. Glatze hat sich zwischen den zwei Fahrrädern auf den Gehweg gesetzt, den Rücken an den Zaun gelehnt.
Eine Viertelstunde ist Glatze da gehockt, ohne dass etwas passiert ist, außer dass ein paar Autos vorbeigefahren sind und es ein paarmal geblitzt und gedonnert hat. Aber aus dem 19er-Haus ist kein Mucks zu hören gewesen. Dann sind Zecke und Zahn gekommen. Zu Fuß. Und haben sich zu ihm gesetzt.
Zahn hat gesagt: „Locke hat mich angerufen. Ihr Opa war auf dem Jugendamt und hat so eine Sozialarbeitertante geholt, weil er meint, dass es so nicht weitergehen kann.“
„Und was tut die jetzt?“, hat Glatze gefragt.
„Wird sich in Bälde erweisen“, hat Zecke gesagt.
Und da ist auch schon die Haustür vom 19er-Haus aufgegangen, und die Frau ist mit der Loretta aus dem Haus gekommen. Die Loretta hat noch immer das ferkelrosa Kleid angehabt, bloß barfuß ist sie nicht mehr gewesen. Ihre Füße sind in den hellblauen Cowboystiefeln gesteckt, und die sind ihr garantiert um drei Nummern zu groß gewesen.
Vor der Frau her ist die Loretta zum Kia gestolpert. Die Frau hat die Loretta ins Auto geschubst und Glatze, Zecke und Zahn freundlich zugenickt, bevor sie selber eingestiegen und abgefahren ist.
Glatze ist aufgestanden und langsam die Straße raufgegangen. Zecke und Zahn haben ihm nachgeschaut. Dass Glatze zu seinem Denkstein will, ist ihnen klar gewesen. Und dass er dort allein sein will, auch.
„Arme, arme Sau!“, hat Zecke gemurmelt. Seine zierliche Ausdrucksweise kommt ihm abhanden, wenn er sehr erschüttert ist.
AM NACHMITTAG SIND ZAHN UND Zecke bei Locke im Garten auf der Hollywood-Schaukel gehockt und haben versucht, Locke zu beruhigen, denn die ist fast am Heulen gewesen und hat immer wieder gesagt, dass sie doch nichts dafür kann, wenn ihr Opa eine Sozialarbeiterin vom Jugendamt holt, aber dass ihr Glatze das trotzdem übelnehmen wird, obwohl sie doch keine Ahnung davon gehabt hat.
„Wäre doch sowieso nicht mehr lange so weitergegangen“, hat ihr Zahn dauernd versichert. „Dein Opa hat gar nichts falsch gemacht. Und außerdem kommt die Loretta ja vielleicht eh wieder.“
Und Zecke hat gesagt: „Und wenn nicht, würde es mir meine Lebensfreude auch nicht rauben.“
„Dir nicht, aber Glatze schon!“, hat Locke gesagt.
Worauf ihr Zecke versichert hat, dass jeder Liebeskummer ein Ablaufdatum hat und sich spätestens nach zwei Jahren erledigt hat. Das ist wissenschaftlich erwiesen!
„Aber nicht bei Glatze!“, hat Locke gesagt. Und wenn jemand Glatze kennt, dann ist es sie. Das kannst du mir glauben.
„Mich interessiert aber mehr, was wir jetzt tun sollen“, hat Zahn gesagt. „Warten wir, bis Glatze von selber wieder auftaucht, oder holen wir ihn
Weitere Kostenlose Bücher