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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
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hat sich für die Auskunft bedankt, hat seine Sporttasche geschultert und ist langsam, auf dem schmalen Schotterweg zwischen der Tischlerei und dem Feuerwehrhaus, der Kirche zu gegangen.
    Daran, dass er Baudorf Nummer 11 für ein Kinderheim gehalten hatte, ist die Loretta schuld gewesen, weil sie ihm ja gesagt hatte, dass sie in ein Heim gesteckt wird, wenn rauskommt, dass sie so lange nicht in der Schule gewesen ist. Aber für das, was Glatze vorgehabt hat, ist es ohnehin Jacke wie Hose gewesen, ob die Loretta in einem Heim oder bei Pflegeeltern ist. Und einen genauen Plan, wie er sie aus dem Heim herausholen kann, hatte er sowieso nicht gehabt. Dass er sich das erst ausdenkt, wenn er beim Kinderheim ist, hat er sich vorgenommen.
    Und jetzt sag bloß nicht: Irgendetwas muss er sich doch vorgestellt haben! Einfach hineingehen und nach ihr fragen? Oder bei einem Fenster reinklettern? Oder sich vor das Heim stellen und laut „Loretta“ brüllen? Oder sich tagelang auf die Lauer legen und warten, bis sie aus dem Heim herauskommt? Vielleicht ist das alles Glatze durch den Kopf gegangen. Aber wenn du noch nie ein Kinderheim gesehen hast und keine Ahnung hast, ob das ein riesiges Gebäude ist oder ein normal großes Haus, ob es an einer Straße steht oder in einem Garten mit hoher Mauer herum, dann ist es nicht falsch, wenn du dir sagst: Erst anschauen, dann überlegen! Hauptsache, du bist dir sicher, dass du es irgendwie schaffen wirst.
    Das hellblaue Haus hat Glatze gleich gesehen, wie er hinter dem Feuerwehrhaus und der Tischlerei gewesen ist. Neben der Zwiebelturmkirche, in einem Garten mit Lattenzaun herum, ist es gestanden. Und an der Gartentür ist ein Briefkasten gewesen. Mit einem großen Elfer drauf.
    Weit und breit ist kein Mensch zu sehen gewesen. Glatze hat seine Sporttasche an der hinteren Mauer vom Feuerwehrhaus abgestellt, hat sich draufgesetzt und zum hellblauen Haus hinübergestarrt. Nur ist halt eine prall gefüllte Sporttasche leider kein Denkstein, der Radon ins Hirn flutschen lässt. Langsam hat es zu dämmern angefangen, irgendwo hat eine Kreissäge gekreischt, hin und wieder hat in der Ferne ein Rindvieh gemuht, und Glatze hat an einem abgerupften Grashalm herumgekaut.
    Dann ist die Haustür vom hellblauen Haus aufgegangen, ein Knirps auf einem Dreiradler, mit einer Springschnur über der Schulter, ist in den Garten rausgestrampelt, hat auf dem Rasen Runden gedreht und „Tatü-tata“ gerufen.
    Nach ein paar Tatü-tata-Runden ist er vom Dreiradler runter und zum Zaun. Mit einem hölzernen Springschnurende hat er vor den Zaunlatten herumgefuchtelt. Anscheinend ist er ein Feuerwehrmann gewesen, der mit dem Wasserschlauch einen Brand löscht.
    Glatze ist aufgestanden und zum Knirps hin.
    „Du, ich muss mit der Loretta reden“, hat er gesagt. „Kannst du sie holen, ohne dass es jemand merkt?“

    Der Feuerwehr-Knirps hat die Springschnur auf den Rasen fallen lassen. „Die Loretta ist noch beim Reiten“, hat er gesagt. Und dann: „Kommt aber eh schon!“
    Von der Kirche her ist die Loretta auf Glatze zugelaufen. „He, Glatze!“, hat sie lachend gerufen. „Was machst denn du da?“
    Wie sie bei ihm gewesen ist, hat Glatze seine Sporttasche geschnappt, die Loretta am Arm gepackt und zum Weg zwischen der Tischlerei und dem Feuerwehrhaus gezogen. Bis dorthin, wo sie vom hellblauen Haus aus nicht mehr zu sehen gewesen sind.
    „Ich hab alles mit, was wir brauchen. Auch genug Geld!“ Glatze hat sich auf die Brust geklopft, dorthin, wo unter dem Hemd das Geld-Sackel gesteckt ist. „Bis zur Bahn runter müssen wir autostoppen, dann fahren wir mit dem Zug nach Mondsee. Dort hat mein Opa ein Sommerhaus, wo jetzt niemand ist. Ich weiß, wo der Reserve-Schlüssel liegt. Da findet uns keiner. Und wenn sie aufgehört haben, nach uns zu suchen, fahren wir nach Italien, ganz in den Süden.“
    „Wir zwei? Jetzt gleich?“, hat die Loretta gefragt.
    „Ja, bevor sie merken, dass du weg bist!“, hat Glatze gesagt.
    „Aber warum denn?“, hat die Loretta gefragt.
    „Weil es im Süden von Italien auch im Winter warm ist, da kann man am Strand schlafen“, hat Glatze der Loretta erklärt. „Und falls wir flüchten müssen, gibt es von dort Schiffe nach Afrika.“
    Die Loretta hat sich an die Mauer vom Feuerwehrhaus gelehnt und Glatze ziemlich verwirrt angeschaut.
    „In Afrika nämlich“, hat Glatze gesagt, „fragt dich keiner, wie alt du bist. Dort heiraten schon die Zehnjährigen. Und alles ist
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