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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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einem Jahr«, sagte sie kurz angebunden. Es klang ein wenig mürrisch. Ich war etwas enttäuscht. In gut einem Jahr würde es Winter sein, und ich hatte immer davon geträumt, im Frühling zu heiraten, jedenfalls bei den wenigen Gelegenheiten, da ich mir überhaupt vorstellte, daß ich heiraten würde. »Ein bißchen später ginge es nicht?« fragte ich.
    »Meine Liebe«, sagte sie scharf. »Auf diese Dinge habe ich keinen Einfluß. Ich bin nur Übermittlerin der Botschaft.«
    »Verzeihung«, murmelte ich.
    »Sagen wir sicherheitshalber bis zu achtzehn Monaten«, räumte sie ein, ein wenig freundlicher.
    »Danke«, sagte ich. Das fand ich ausgesprochen entgegenkommend. Ich würde also heiraten. Großartig. Vor allem, wo ich schon zufrieden gewesen wäre, einen Freund zu haben.
    »Ich frage mich, wer das sein könnte.«
    »Sie müssen vorsichtig sein, meine Liebe«, teilte sie mir mit. »Möglicherweise erkennen Sie ihn nicht gleich als den, der er ist.«
    »Heißt das, daß ich ihm beim Maskenball begegne?«
    »Nein«, sagte sie bedeutungsvoll. »Möglicherweise scheint er Ihnen am Anfang nicht der zu sein, der er ist.«
    »Ach so, Sie meinen, daß er mir was vormacht«, sagte ich. Ich hatte begriffen. »Das ist schon in Ordnung. Warum sollte er anders sein als die anderen?« Ich lachte.
    Mrs. Nolan schaute mich verdrießlich an. »Nein, meine Liebe«, sagte sie gereizt. »Ich will damit sagen, daß Sie darauf achten müssen, Cupido seine Aufgabe nicht zu erschweren, indem Sie mit Scheuklappen durchs Leben gehen. Vielleicht erkennen Sie selbst, wer dieser Mann ist. Dann müssen Sie ihn mit klarem und furchtlosem Blick ansehen. Es ist möglich, daß er kein Geld hat, aber deshalb dürfen Sie ihn nicht demütigen. Es ist möglich, daß er nicht besonders gut aussieht, dann dürfen Sie ihn deshalb nicht herabsetzen.«
    Großartig, dachte ich. Ich hätte es mir denken können! Ein mißgestalteter Sozialhilfeempfänger.
    »Ich verstehe«, sagte ich. »Er ist also arm und häßlich.«
    »Nein, meine Liebe«, sagte Mrs. Nolan und gab in ihrer Verzweiflung die geheimnisvolle Sprechweise auf. »Ich will damit lediglich sagen, daß er möglicherweise nicht Ihren bisherigen Vorstellungen entspricht.«
    »Ach so«, sagte ich. Das hätte sie doch gleich sagen können statt ihrem »mit klarem und furchtlosem Blick ansehen«.
    »Wenn mich also Jason mit seinen siebzehn Jahren, all seinen Pickeln und der schrecklich weiten Hose am Fotokopierer anquatscht«, fuhr ich fort, »und mich zu einer Drogenparty einlädt, darf ich ihm also nicht ins Gesicht lachen und ihm sagen, er soll sich zum Teufel scheren.«
    »So ungefähr, meine Liebe«, sagte Mrs. Nolan. Es klang zufrieden. »Die Blume der Liebe kann an den unerwartetsten Orten aufblühen, und Sie müssen bereit sein, sie zu pflücken.«
    »Ich verstehe«, nickte ich.
    Trotzdem müßte es mir schon ziemlich schlecht gehen, ehe Jason bei mir auch nur die kleinste Chance hätte. Das aber brauchte Mrs. Nolan nicht zu wissen.
    Sofern sie ihr Geld wert war, wußte sie es ohnehin bereits. Rasch wies sie auf verschiedene Karten und stieß abgehackte Sätze hervor – ein Hinweis darauf, daß sich die Séance ihrem Ende näherte. »Sie werden drei Kinder bekommen, zwei Mädchen und einen Jungen, meine Liebe« und »Sie werden nie Geld haben, aber glücklich sein, meine Liebe«, und »Sie haben eine Feindin am Arbeitsplatz. Sie neidet Ihnen Ihren Erfolg.« Darüber mußte ich – ein wenig bitter – lachen. Auch sie hätte gelacht, wenn sie gewußt hätte, wie unbedeutend und schrecklich meine Arbeit war.
    Dann ließ sie eine Pause eintreten. Erneut sah sie auf die Karten, dann wieder auf mich. Ihr Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an.
    »Sie haben unter einer Wolke gelebt, meine Liebe«, sagte sie gedehnt. »Es war etwas Düsteres und Trauriges.«
    Mit einem Mal hatte ich zu meinem Entsetzen einen Kloß im Hals. Meine gelegentlichen depressiven Anfälle stellte ich mir in der Tat immer als dunkle Wolke vor. Es war nicht die übliche Art von depressiven Anflügen, bei denen es darum ging, daß ich gern den Wildlederrock hätte, den ich gesehen hatte – obwohl ich auch an ihnen litt. Doch seit meinem siebzehnten Lebensjahr hatte ich richtige Depressionen.
    Ich nickte, da ich kaum ein Wort herausbrachte. »Ja«, flüsterte ich schließlich.
    »Sie tragen das schon seit vielen Jahren mit sich herum«, sagte sie gelassen und sah mich verständnisvoll und teilnahmsvoll an.
    »Ja«,
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