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WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)

WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)

Titel: WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)
Autoren: Lisa J. Smith
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Kapitel 1 – DIE FÜCHSIN
    Die Füchsin wartete.
    Das Sonnenlicht, das die weiche Erde unter den Orangenbäumen sprenkelte, ließ ihr rostrotes Fell golden schimmern, und ihre gelben Augen leuchteten auf. Seit Tagesanbruch wartete sie hier im Obstgarten und wenn nötig würde sie bis zum Untergang des Mondes warten. Sie wartete nur auf ein einziges Kind, aber dieses Kind musste allein sein. Kein anderer Mensch durfte Zeuge dieser Begegnung werden.
    Sie war sehr müde.
    Endlich öffnete sich die Vordertür des Hauses auf der anderen Straßenseite. Die Füchsin zitterte vor Anspannung von der Spitze ihres Schwanzes bis in ihre empfindlichen Schnurrhaare. Ihre seidigen Ohren zuckten nach vorn – eine Gestalt verließ das Haus. Es war die Kleine, die Jüngste. Und sie war allein.
    Die Zähne der Füchsin schlugen sanft aufeinander.
    Claudia war auf dem Weg zum Briefkasten. Es war ein kühler Samstagvormittag im Dezember. Ihr Vater las die Zeitung, ihre Mutter war in der Dunkelkammer, Alys spielte Tennis, Charles lag noch im Bett, und Janie – nun, Janie tat, was Janie eben so tat. Also hatte Claudia, die stets genug Zeit hatte, den Auftrag erhalten, die Post hereinzuholen.
    Als sie das Tier sah, war es bereits zu spät.
    Sie hatte gerade zwei Hände voll Briefe aus dem Kasten genommen. Es geschah so schnell, dass sie gar nicht dazukam, zu schreien oder auch nur Angst zu haben. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung sprang das Tier sie an. Spitze Zähne streiften ihre Knöchel und dann war es auch schon an ihr vorbei.
    Vor Überraschung verlor Claudia das Gleichgewicht, landete auf ihrem Po und biss sich dabei so schmerzhaft auf die Zunge, dass ihr die Tränen kamen. Verdutzt betrachtete sie das Geschöpf, das sie so erschreckt hatte.
    Es war ein Fuchs. Zumindest sah es so aus wie die Füchse, die sie aus dem Irvine Park kannte. Ein Fuchs hatte sie angesprungen. Im ersten Moment wäre Claudia am liebsten ins Haus gelaufen, um jemandem davon zu erzählen und zu weinen.
    Zwei Dinge hinderten sie daran. Zum einen war es die Schönheit des Fuchses. Sein Fell glänzte rot wie Feuer, seine Augen leuchteten wie goldene Edelsteine und sein schlanker Körper war geschmeidig und stark. Seine Wildheit raubte ihr den Atem.
    Zum anderen war es die Tatsache, dass der Fuchs mit einem ihrer Briefe im Maul davonrannte.
    Claudia öffnete den Mund – und schloss ihn wieder. Sie sah sich um, ob noch jemand dieses ungewöhnliche Geschehen beobachtet hatte, aber es war niemand auf der Straße. Sie schaute wieder zu dem Fuchs hinüber. Er war stehen geblieben und betrachtete sie mit seinen goldenen Augen. Als ihre Blicke sich trafen, drehte er sich um und trabte einige Schritte weiter, wobei er über seine Schulter zu ihr zurückschaute.
    Langsam stand Claudia auf. Sie machte einen Schritt auf den Fuchs zu.
    Der Fuchs wich zwei Schritte zurück.
    Claudia blieb stehen.
    Der Fuchs blieb ebenfalls stehen.
    » He!«, rief Claudia. Etwas anderes fiel ihr nicht ein. » He!«, wiederholte sie.
    Der Fuchs ließ den Brief fallen und sah sie leise hechelnd an.
    Diesmal ließ er sie bis auf Armeslänge an sich herankommen, bevor er sich erneut rührte. Dann schnappte er sich plötzlich den Brief vom Boden und huschte damit die Straße entlang. Jedoch nicht ohne dabei immer wieder über seine Schulter zu blicken, wie um sich zu vergewissern, dass sie ihm folgte.
    Er führte sie die Taft Avenue hinunter und die Center Street hinauf. Er führte sie an dem Orangenbaumwäldchen vorbei, vorbei an den stillen Häusern und dem leeren Grundstück, bis er den Hügel erreichte. Und verschwand.
    Hier gab es keine Querstraßen mehr, nur ein hohes Eisentor, hinter dem ein Schotterweg zu einem riesigen, alten Haus hinaufführte. Claudia zögerte und trat von einem Fuß auf den anderen. Kinder durften nicht einmal in die Nähe des alten Hauses auf dem Hügel, selbst an Halloween nicht. Über die Frau, die dort lebte, gingen die seltsamsten Geschichten um.
    Aber der Fuchs hatte Claudias Brief. Und der Fuchs war faszinierend schön.
    Also zwängte Claudia sich zwischen den Gitterstäben des Tores hindurch.
    Der Weg, der den Hügel hinaufführte, war lang und steil. Hohe Eukalyptusbäume säumten den Pfad, und Claudia hatte das unheimliche Gefühl, dass sich die Äste hinter ihr schlossen, sobald sie daran vorüber war, und sie vom Rest des Parks abschnitten.
    Ganz oben, auf der Kuppe des Hügels, ragte das Haus mit seinen massiven Mauern aus grauem Stein und seinen
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