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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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Noten zu bekommen. Es gab da die Gruppe der Coolen, die schon rauchten und Lidschatten trugen. Ihr Busen war für ihr Alter beachtlich entwickelt, und es hieß, daß sie mit ihren Freunden ins Bett gingen. Ich hätte alles gegeben, zu ihnen zu gehören, doch bestand nicht die geringste Aussicht darauf, weil meine Klassenarbeiten manchmal ziemlich gut ausfielen.
    Als ich einmal in Bio eine glatte Zwei schrieb, konnte ich von Glück sagen, daß sie mich am Leben ließen. Das war ziemlich ungerecht, denn bei der Arbeit war es um die menschliche Fortpflanzung gegangen, und darüber wußten sie wahrscheinlich weit mehr als ich und hätten alle erstklassig abgeschnitten, wenn sie nur aufgekreuzt wären.
    Aber nach jeder Klassenarbeit brachten sie eine Entschuldigung ihrer Mütter an, daß sie krank gewesen waren.
    Vor diesen Müttern mußte man sich noch mehr fürchten als vor ihnen. Wenn die Nonnen gelegentlich an der Echtheit der Entschuldigungen zweifelten und die Mädchen entsprechend bestraften, kamen die Mütter – und manchmal sogar die Väter  – in die Schule und mischten sie auf. Sie beschuldigten die Nonnen, ihre Töchter als Lügnerinnen hinzustellen, drohten ihnen Prügel an und stießen wilde Drohungen aus, die Sache »nach oben« zu melden.
    Als Maureen Quirke in ein und demselben Monat dreimal mit einer Entschuldigung wegen ihrer Periode angekommen war, hatte ihr Schwester Fidelma eine runtergehauen und sie gefragt: »Hältst du mich eigentlich für blöd?« Schon ein paar Stunden später war Maureens Mutter wie ein Racheengel in der Schule aufgetaucht. (Wie Maureen später sagte, war der Witz an der Sache, daß sie damals schwanger war, nur hatte sie das nicht gewußt, als sie die Entschuldigungen schrieb.) Maureens Mutter hatte Schwester Fidelma angeschrien: »Niemand faßt meine Kinder an. Niemand außer mir und Mr. Quirke! Bloß weil Sie Schiß vor Männern haben, Sie verschrumpelte alte Schachtel, brauchen Sie noch lange nicht auf meiner Maureen rumzuhacken.«
    Dann war sie hoheitsvoll mit ihrer Maureen abgerauscht und hatte sie auf dem ganzen Nachhauseweg durchgeprügelt. Das weiß ich, weil sich mein Vater, als ich mittags aus der Schule gekommen war, mit den Worten auf mich gestürzt hatte: »Heut’ morgen hab ich auf der Straße gesehen, wie die alte Quirke ihre Kleine grün und blau geschlagen hat. Was war denn da bloß los?«
    Als ich mit den Antidepressiva aufhörte und zur Sekretärinnen-Schule ging, meldeten sich meine Depressionen zwar nicht mehr so schlimm wie vorher, waren aber auch nicht ganz weg. Weil ich schreckliche Angst hatte, wieder welche zu bekommen, aber keine Pillen nehmen wollte, machte ich es mir zur Lebensaufgabe festzustellen, wie ich sie am besten auf natürliche Weise in Schach halten konnte.
    Am liebsten hätte ich die Depressionen ganz aus meinem Leben verbannt, mußte mich aber damit zufriedengeben, ihre Flut dadurch einzudämmen, daß ich unermüdlich meine emotionale Sandsackbarriere verstärkte.
    So wurde der Kampf gegen die Depression zusammen mit Lesen und Schwimmen eine meiner Freizeitbeschäftigungen. Strenggenommen gehörte Schwimmen nicht dazu; man müßte es wohl in die Rubrik ›Kampf gegen die Depression‹, Unter-Rubrik ›Bewegung‹, Kapitel ›sanft‹ einordnen.
    Ich las zum Thema Depression, was mir in die Finger fiel, und nichts baute mich mehr auf als eine schöne, breit ausgewalzte Geschichte von berühmten Leuten, die entsetzlich darunter litten.
    Berichte über Menschen, die ganze Monate im Bett verbrachten, weder aßen noch sprachen und einfach die Decke anstarrten, wobei ihnen die Tränen über beide Wangen liefen, Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschten, als genug Kraft, sich umbringen zu können, ließen mir einen Schauer der Begeisterung über den Rücken laufen. Ich schien mich in bester Gesellschaft zu befinden.
    Churchill hatte seine Depressionen seinen »schwarzen Hund« genannt, was mich mit achtzehn Jahren allerdings verwirrte, weil ich Hunde gern hatte. Das war, bevor die Medien die Pitbull-Terrier erfunden haben. Danach verstand ich genau, worauf Sir Winston hinausgewollt hatte.
    Wenn ich eine Buchhandlung betrat, tat ich grundsätzlich so, als stöberte ich absichtslos umher, doch bevor ich es selbst merkte, hatte ich den Tisch mit den Neuerscheinungen, die Romane, die Krimis, die Science-fiction, die Kochbücher, die Heimwerkerecke und die Horrorschinken hinter mir gelassen, die Abteilung Biographien durchquert (wobei
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