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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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Gewöhnliches. 0 nein, es handelte sich um die Super-Luxus-Ausführung, das Spitzenmodell mit allen Schikanen, bei dem aber auch nichts fehlte.
    Allerdings merkte man das nicht gleich, wenn man mich kennenlernte. Mir ging es nicht immer elend. Im Gegenteil, oft war ich munter, umgänglich und amüsant. Selbst wenn ich mich entsetzlich fühlte, gab ich mir große Mühe, mir das nicht anmerken zu lassen. Erst wenn es so schlimm wurde, daß ich es nicht mehr vor den anderen verheimlichen konnte, verzog ich mich für ein paar Tage oder eine ganze Woche ins Bett und wartete, daß es aufhörte. Das tat es auch jedesmal, früher oder später.
    Am allerschlimmsten war übrigens meine erste Depression gewesen, in dem Sommer, als ich die Schule verlassen hatte. Damals war ich siebzehn und hatte mich aus irgendeinem Grund – von all den auf der Hand liegenden Gründen einmal abgesehen – auf die Vorstellung versteift, daß die Welt ein Jammertal ist, in dem man sich einsam fühlt und man so ungerecht behandelt wird, daß es einem das Herz bricht.
    Mich deprimierte, was Menschen in den entlegensten Winkeln der Erde widerfuhr, Menschen, die ich weder kannte noch vermutlich je kennenlernen würde. Meist fühlte ich mich ihretwegen deprimiert, weil sie an Hunger oder einer Seuche starben, oder weil ihnen während eines Erdbebens das Haus über dem Kopf zusammenfiel.
    Bei jeder Radio- oder Fernsehnachricht heulte ich – ob es um Autounfälle ging, um Hungersnöte, Kriege, Sendungen über Aids-Opfer, Geschichten von Müttern, die starben und kleine Kinder hinterließen, Berichte über mißhandelte Ehefrauen, Interviews mit Männern, die zu Tausenden ihren Arbeitsplatz im Bergbau verloren hatten und wußten, daß sie nie wieder Arbeit finden würden, obwohl sie erst vierzig waren, Zeitungsartikel über sechsköpfige Familien, die von lachhaften fünfzig Pfund pro Woche leben mußten, oder um Bilder von vernachlässigten Eseln. Sogar die lustigen Einsprengsel am Ende von Nachrichtensendungen von der Art, daß ein Hund Rad fährt oder »Würstchen« sagt, ließen mich voll Schmerz zusammenzucken, denn mir war klar, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis der Hund sterben würde.
    Eines Tages hatte ich auf dem Gehweg in der Nähe unseres Hauses einen blau-weißen Kinderfäustling gefunden, und der Kummer, den er in mir auslöste, war nahezu unerträglich. Die Vorstellung, daß eine winzige halberfrorene Hand oder der andere Fäustling so ganz allein ohne sein Gegenstück sein mußte, war in mir so lebendig gewesen, daß ich jedesmal, wenn ich den Handschuh sah, heiße Tränen vergoß und an meinem Schluchzen fast erstickt wäre.
    Nach einer Weile ging ich nicht mehr aus dem Haus, und bald darauf verließ ich auch das Bett nicht mehr. Es war grauenvoll. Ich hatte den Eindruck, persönlich in Berührung mit jedem bißchen Kummer auf der Welt zu stehen. Es kam mir vor, als hätte ich ein Sorgen-Internet im Kopf, und jedes Trauer-Atom, das je existiert hatte, würde durch mich hindurchgeleitet, bevor man es verpackte und in die Außenbezirke transportierte. Ich sah mich als eine Art zentraler Lagerstätte für Elend.
    Meine Mutter nahm die Sache in die Hand und verhängte mit der Tüchtigkeit eines vom Staatsstreich bedrohten Despoten eine vollständige Nachrichtensperre über mich. Ich durfte nicht mehr fernsehen, was zum Glück zeitlich damit zusammenfiel, daß wir gerade wieder einmal pleite waren – wahrscheinlich ging es um versäumte Ratenzahlungen – und der Gerichtsvollzieher verschiedene Einrichtungsgegenstände mitgenommen hatte – darunter den Fernseher. Ich hätte also ohnehin nicht fernsehen können.
    Wenn meine Brüder abends nach Hause kamen, hatte meine Mutter sie an der Haustür gefilzt, bevor sie hineindurften und ihnen jede Zeitung abgenommen, die sie womöglich hineinschmuggeln wollten.
    Allerdings bedeutete für mich der von ihr verhängte Ausschluß von den Medien keinen Unterschied. Ich besaß die bewundernswerte Gabe, in wirklich allem und jedem eine Tragödie zu sehen – wie unbedeutend es auch immer sein mochte. So brachte ich es fertig loszuheulen, wenn ich in der Gartenzeitschrift, die mir als einziger Lesestoff noch erlaubt war, einen Artikel über kleine Blumenzwiebeln entdeckte, die bei einem Februarfrost eingegangen waren.
    Schließlich hatten meine Eltern Dr. Thornton kommen lassen, aber erst, nachdem wir nahezu einen ganzen Tag damit verbracht hatten, das Haus zu Ehren seines Besuchs
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