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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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das nur vermutet, weil mir in der Gefühlsverwirrung, aus der die Jahre meines Heranwachsens bestanden hatten, fast jeder gefallen hatte.
    Es war für alle Beteiligten unbedingt das beste, daß Daniel und ich nichts voneinander wollten, denn andernfalls hätte sich Chris die Mühe machen müssen, Daniel zu verprügeln, um die Ehre seiner Schwester zu retten. Ich aber wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen.
    Karen und Charlotte beneideten mich – völlig grundlos – um meine Beziehung zu Daniel.
    Immer wieder schüttelten sie verwundert den Kopf und sagten: »Du Glückspilz! Wie bringst du es bloß fertig, so locker mit ihm umzugehen? Wie schaffst du es, lustig zu sein und ihn zum Lachen zu bringen? Mir fällt bei ihm nie was ein.«
    Aber das war leicht, weil ich nichts für ihn empfand. Wenn ich jemanden richtig gern hatte, geriet ich in Panik, stieß Sachen um und begann Gespräche mit Aussagen wie »Hast du dich je gefragt, wie es ist, ein Heizkörper zu sein?«
    Ich sah auf den Zettel, den Karen für mich hingelegt hatte – es war sogar ein kleiner Fleck darauf, an den sie »Sabber« geschrieben hatte – und überlegte, ob ich Daniel anrufen sollte oder nicht. Besser nicht. Vielleicht war er schon im Bett. Ich meine, nicht allein.
    Der Teufel mochte Daniel und sein aktives Geschlechtsleben holen. Ich wollte mit ihm reden.
    Mrs. Nolans Worte hatten mich nachdenklich gemacht. Es ging nicht um das, was sie über mich und das Heiraten gesagt hatte – so blöd war ich nicht, daß ich das ernst nehmen würde. Aber ihre Äußerung darüber, daß ich unter einer dunklen Wolke lebte, hatte mich an meine Depressionen erinnert und daran, wie entsetzlich sie gewesen waren. Natürlich hätte ich Karen und Charlotte wecken können, aber das ließ ich lieber bleiben. Ganz abgesehen davon, daß sie sauer reagieren würden, wenn ich sie für etwas anderes als eine improvisierte Party aus dem Schlummer riß, wußten sie auch nichts von meinen Depressionen.
    Natürlich wußten sie, daß ich manchmal sagte, ich wäre deprimiert. Dann fragten sie: »Aber warum nur?«, und ich erzählte ihnen etwas von einem untreuen Freund oder einem schlechten Tag im Büro oder daß mir der Rock vom letzten Sommer nicht mehr paßte, und sie quollen über vor Mitgefühl.
    Aber sie wußten nicht, daß ich manchmal richtige Depressionen bekam. Daniel hingegen war das als einem der ganz wenigen Menschen außerhalb meiner Familie bekannt.
    Deswegen schämte ich mich ja auch so. Die einen hielten Depressionen für eine Geisteskrankheit und folglich mich für verrückt. Sie nahmen an, man müsse ganz langsam mit mir sprechen und mir am besten aus dem Wege gehen. Andere, und das war die Mehrzahl, vermuteten, Depressionen gebe es in Wahrheit gar nicht, es handele sich dabei um eine Art neurotischer Einbildung, eine neuzeitliche Version des altväterlichen »Nervenleidens«. Sie übersetzten sich das als »sie tut sich ohne jeden Grund leid«, nahmen an, ich würde wie eine Heranwachsende ständig zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt hin und her schwanken und es sei höchste Zeit, daß sich das änderte. Dazu mußte ich mich lediglich »zusammenreißen«, »mich nicht so wichtig nehmen« und »Sport treiben«.
    Diese Haltung konnte ich sogar verstehen, denn irgendwann ist jeder mal deprimiert. Das gehört zum Leben, zum alltäglichen Auf und Ab.
    Manche Menschen litten wegen Geldsachen an Depressionen (weil sie nicht genug Geld hatten, nicht etwa, weil das Geld schlecht in der Schule war oder in letzter Zeit ziemlich hohlwangig aussah). Schwerwiegendes geschah – Beziehungen gingen in die Brüche, Arbeitsplätze wurden gestrichen, Fernsehgeräte gaben ihren Geist auf, wenn die Garantie zwei Tage abgelaufen war, und so weiter und so weiter – und die Leute fühlten sich deswegen elend.
    All das wußte ich. Aber die Depression, die ich hatte, war nicht eine gelegentliche Niedergeschlagenheit von der Art oder eine der Phasen, die Holly Golightly in Frühstück bei Tiffany durchmachte – obwohl ich die auch hatte, und das zu allem Überfluß ziemlich regelmäßig. Das allerdings ging vielen Leuten so, vor allem, wenn sie gerade eine Woche lang ziemlich getrunken und kaum geschlafen hatten. Aber diese Niedergeschlagenheit und diese düsteren Phasen waren ein Kinderspiel verglichen mit den unerbittlichen schwarzen Dämonen, die mich von Zeit zu Zeit heimsuchten, um in meinem Kopf Kreuzigung zu spielen.
    Meine Depression war nichts
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